Die „Waz“ soll ins Internet-Zeitalter. Mit allem was dazu gehört. Und fängt sich in der Szene dafür reichlich Feuer ein. Unternehmen müssen sich an Weblogs gewöhnen. Vor allem müssen sie sich daran gewöhnen, böse attackiert zu werden, wenn sie nicht nur wagen, die neuen Instrumente des Netzes in ihre Strategie zu integrieren – sondern dies auch noch ansatzweise in logischer Art und Weise tun. Wer dümmliche Weblogs aufsetzt, der wird schnell vergessen. Wer eine gute Idee hat, bekommt ständig Feuer. Es spielt ein Hauch Ideologie mit, dass ein großes, böses, kapitalistisches Unternehmen den Unabhängigen im Netz ihr Spielzeug wegnehmen könnte – was natürlich Blödsinn ist.
Entsprechend wird derzeit eifrig gehetzt gegen die „Waz“, die nicht nur eine Bloggerin und freie Journalisten schlagartig in die zweithöchste Führungsebene beförderte, sondern auch noch ankündigte, etwas Großes im Netz anstellen zu wollen.
In der Diskussion darüber gleiten die Argumente ins hanebüchene ab. Zum Beispiel wird behauptet, der Ruhrgebietler an sich sei ja gar nicht im Netz. Er sei ein bodenständiger Biertrinker, der mit allem nix am Hut habe. Und selbst wenn die Online-Verbreitung geringer wäre als in anderen Regionen (vielleicht findet ein Leser ja Zahlen darüber), so wird dies sicher nicht so bleiben. Wer das glaubt, propagiert damit auch, das Internet sei an einem Wachstumshöhepunkt angelangt.
Und dann sehen die Verkünder des Untergangs das Ende der Lokalberichterstattung nahen, zumindest eine Ausdünnung. Gerade so, als ob die „Waz“ heute über alles berichten würde, was in Essen-Frillendorf, Gelsenkirchen-Erle oder Bochum-Langendreer passiert.
Sie tut es nicht, hat es schon seit langer Zeit nicht getan, ja vielleicht noch nie. Denn dazu passiert in einem solchen Ballungsraum einfach zu viel. In meiner Jugend wussten die Bewohner meines Heimatortes Senden, dass alles, was in dem damals keine 15.000 Einwohner zählenden Örtchen an Wissenswertem passiert, am nächsten Morgen auf zwei bis drei Seiten in der Zeitung stehen würde. Heute ist Senden deutlich größer – und die Seiten reichen nicht mehr aus. Wieviel mehr aber passiert in Essen? Und: Es passiert immer mehr, denn unser Leben ist dramatisch unruhiger geworden in den vergangenen 20 Jahren.
Allein die schiere Masse verhindert, die Lokalinformationen im Rahmen einer Zeitung unterzubringen, die unter Telefonbuch-Format liegen soll. Gleichzeitig sinken Leser- und Anzeigenmenge – das Blatt dünnt aus.
Das Internet ist die Möglichkeit, die Seitenbegrenzung zu sprengen. Beispiel: niederklassiger Lokalsport. Werden viele Spielberichte aus der Meden-Liga Essen (so hießen die Tennis-Ligen zu meiner Zeit zumindest noch) lesen? Nein. Aber die, die es lesen, wollen es unbedingt lesen. Weshalb Lokalzeitungen in Ballungsräumen eine verschämte Seite bereit stellen, auf der Mitte der Woche das Wochenende rekapituliert wird. Oder Lokalpolitik: Was im Stadtrat passiert, lässt sich in Print schreiben, was in Bezirksvertretungen entschieden wird schon nicht mehr. Und man stelle sich vor, wenn sogar noch bewegte Bilder dazu kommen…
Wenn die Zeitungen diese Informationen nicht irgendwo liefern, dann werden es die Bürger. Denn das Leserinteresse ist da. Folge: Kein anderes Geschäftsmodell klassischer Medien ist so durch das Netz bedroht wie das der Lokalzeitung.
Nirgends können Bürgerjournalisten, oder wie immer man sie nennen mag, so leicht zur Konkurrenz werden wie im Lokalen. Je kleiner das Viertel, je kleiner die Kommune, desto eher findet sich jemand, der sich viel besser auskennt als die Lokalzeitungsleute. Wenn diese Leute das Internet erst richtig entdecken, werden auch in Deutschland Blog-artige Angebote wie Greensboro101 entstehen – und das ist eine echte Gefahr für Waz & Co. Im nächsten Schritt stehen die Neo-Journalisten mit einer Digitalkamera da und liefern lokale TV-Bilder. Muss das Geld bringen? Für Privatleute nicht: Sie machen das aus Spaß, so wie sie sich jetzt auch in Vereinen engagieren.
Ein Projekt wie das der „Waz“ aber muss Geld einspielen und dazu braucht es Masse. Denn nur Masse bringt die nötigen Klicks um eine Gegenfinanzierung zu erreichen. Und deshalb wird das unselige, auch von mir wenig gemochte Wort Community eingeworfen.
Eine Community könne im Falle des „Waz“-Projektes nicht entstehen, sagen die Kritiker, weil es keine Identifikation der Ruhrpötter mit dem Ruhrpott gibt. Doch, es gibt sie schon – aber sie ist nicht stark genug. Aber darum geht es ja gar nicht. Identifikation ist nicht gleich Interesse. Der Bochumer interessiert sich durchaus für Dinge, die in Dortmund passieren, und der Gelsenkirchener erst recht für Dinge, die in Essen passieren. Vor allem, wenn es um Veranstaltungen geht. Der Nicht-NRW’ler vergisst schnell, dass sein klassisches Stadt-Bild von klar abgegrenzten Kommunen im Pott nicht mehr funktioniert.
Der Begriff der Community führt ein wenig in die Irre. Er lässt glauben, alle Leser, die sich bei einem Angebot anmelden, hätte das gleiche Interesse. So wie in der Milka Kuh-Munity.
Von diesem Bild muss man sich lösen. Solch eine Makro-Community, bei der alle Angemeldeten ein Interesse teilen (zum Beispiel die Fans von Borussia Dortmund, die auf der hervorragend gemachten Seite Schwatz-Gelb diskutieren) kann nicht das Ziel einer Lokalzeitung sein. Sie muss auf Mikro-Communities, die sich auf einer Seite treffen, diese aber völlig unterschiedlich nutzen.
Nehmen wir Westline, das Angebot von „Westfälischen Nachrichten“ und „Ruhr Nachrichten“. Dort gibt es eine Reihe Diskussionsforen, von denen einige gut, andere überhaupt nicht laufen.
Meist besuchtes ist das von Schalke 04. Zweit meist besuchtes das von – nein, nicht Borussia Dortmund – Preußen Münster – einem Absteiger in die Oberliga (au, das tut noch immer weh). Die Diskutanten beider Foren haben außer dem Fußballinteresse nichts gemeinsam – und treffen sich doch auf einer unabhängigen Plattform.
Es sind diese Ansätze, die mich grübeln lassen, obwohl ich ein Gegner der Idee bin, dass Unternehmen sich wie von Sinnen auf das stürzen, was Unternehmensberater Web 2.0 oder User Generated Content nennen. Das Projekt der „Waz“ ist das vielleicht Spannendste, was deutsche Verlage derzeit im Netz probieren.
Und selbst wenn es scheitern sollte, bleibt eine offene Frage: Haben Lokalzeitungen überhaupt eine andere Wahl?
Kommentare
genevainformation 7. Juli 2006 um 11:55
Will ich für ein Fußballforum Geld bezahlen?
DonDahlmann 7. Juli 2006 um 11:58
Das Problem von Lokalzeitungen ist der Altersdurchschnitt der Leser. Der liegt meist deutlich über 50 und reicht damit in eine Generation rein, die mit dem Internet noch nicht so viel am Hut hat. Ich nehm mal meine wehrte Mutter als Beispiel. Die ist knapp über 60, hat mit dem Internet nichts am Hut, und wenn ich ihr sagen würde, sie könne bald die Nachrichten aus Bad Godesberg im Netz lesen, würde sie den Koppf schütteln und sagen, dass ihre News lieber aus der Zeitung am Frühstückstisch ziehen möchte.
Das sollte man berücksichtigen, und ich denke, dass es vielen Leser der WAZ und deren angeschlossenen Lokalredaktionen ähnlich gehen wird. Auf der anderen Seite: wenn man sich wirklich für lokales interessiert, dann wird man im Netz weniger gut fündig, als wenn man nach den \“großen\“ Themen sucht. Es gibt also durchaus Bedarf für eine breitete Berichterstattung des Lokalem im Netz. Damit erreicht man zwar nicht mehr die ab 60jährigen, aber die Leser ab 40. Dazu kommt, dass es wohl kaum eine Region in Deutschland gibt, in der Vereine (vom Taubenzüchter, über ehemalige Bergmänner bishin zum Fußball) eine sehr große Rolle spielen. Bindet man die ein, hat man eine große Chance, dass so eine Umwandlung, wie sie die WAZ offenbar vor hat, einigermaßen gut über die Bühne geht. Das Geld, dass man im Internet verdienen kann, liegt nicht nur bei den 20jährigen sondern durchaus woanders.
Wenn das Lokale mehr ins Netz zieht, kann das auch bedeuten, dass ich die Berichterstattung endlich aus der Anzeigenklammer befreit. Jeder, der mal in einem kleinen, örtlichen Blatt gearbeitet hat, weiß wie groß die Macht der Anzeigenkunden da ist. Fände man eine andere Finanzierung im Internet, wären viele Lokalredakteure auch in der Lage, ohne die Anzeigenscheuklappe zu schreiben
Jochen 7. Juli 2006 um 13:20
Ich kann jetzt nur für mich sprechen, dass ich im Moment die meisten Informationen als Feed beziehe.
Es ist für mich praktisch, mit einem Nachrichtensammler wie bloglines, meine eigene Zeitung zusammenstellen zu können.
Leuten, denen ich das System erklärt und gezeigt habe, nutzen dies nun ebenso.
Meine Eltern hingegen können/wollen/machen dies nicht.
Ich finde es sehr gut, dass die WAZ ein so interessantes Projekt angeht.
Man wird sehen, wie groß der Bedarf an dem kommenden Angebot sein wird.
Irgendwann in ferner Zukunft wird es soetwas sicher geben, fragt sich nur, wer es zum passenden Zeitpunkt einführt.
Man weiß doch noch gar nicht, wie das Angebot aussehen wird.
Thomas Knüwer 7. Juli 2006 um 15:09
@Don: Also was die gesetzteren Herrschaften betrifft, würde ich Dir nur bedingt zustimmen. Meiner Mutter ist seit ihrem 66. Lebensjahr im Netz unterwegs und sie behauptet: \“Jedes Jahr ohne Internet war ein verlorenes Jahr.\“ Ähnliche Geschichten erzählen weite Teile meines Freunden- und Kollegenkreises.
Doreen 7. Juli 2006 um 15:23
Don: \“Fände man eine andere Finanzierung im Internet, wären viele Lokalredakteure auch in der Lage, ohne die Anzeigenscheuklappe zu schreiben\“
Das ist ja das Lustige. Man versucht doch seit ca. 1996 eine Finanzierungsform abseits der klassischen Anzeigenverkaufs im Internet zu finden. In 2000 gabs nach blendenden Werbezahlen den großen Einbruch und viele Communities und Internetangebote gingen reihenweise pleite, weil kein Kunde mehr 60 EUR/TKP zahlen wollte und es keine andere Finanzierung gab. Und nun? Gibt es aktuell neue Ideen zur Finanzierung? Nein! Es wird immer noch über Werbung finanziert und der nächste Crash ist nur eine Frage der Zeit. Es gibt nur sehr wenige Angebote, die aktuell anders finanziert werden, z.B. OpenBC verlangt ja von seinen Nutzern Geld.
Chat Atkins 7. Juli 2006 um 15:32
Na, jetzt habe ich wenigstens mal eine halbwegs schlüssige Gegenargumentation gefunden, die sich nicht auf \“komplett chancenlos\“ reimt. Wenn ich jetzt beide Ansichten noch ein wenig sacken lasse und dazu den Kopf schüttle – dann fällt mir vielleicht auch mal eine eigene Meinung aus der Klappe. Bisher benutze ich ja eher die Taste mit dem Fragezeichen am häufigsten, wenn ich mir etwas zum Thema notiere.
Ralf 7. Juli 2006 um 16:47
Lustig ist doch, dass die WAZ jahrzehnte lang alle Lokalzeitungen gnadenlos platt gemacht hat. Und sich nun als Retter der Lokalinformation darstellt.
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Wenn die WAZ nun \“wahllos\“ alle Informationen einer Stadt in Blogform ins Internet stellen will, dann verliert sie ihre Filter-Funktion.
Wenn ich wissen will was in Esssen-West passiert ist, dann schaue ich im Internet nach ob es dazu ein Blog gibt. Gibt es den nicht, frage ich mich, warum es den dann plötzlich bei der WAZ geben soll?
Also die Bürger stürzen sich jubelschreiend auf etwas, dass sie vorher nicht gemacht haben, nur weil die WAZ sie dazu auffordert? Aha. Warum fordert die WAZ die Bürger nicht einfach auf die WAZ zu kaufen. Steigert ebenso die Auflage. Ach klappt nicht? Hm…
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Den Biertrinkenden bodenständigen Ruhrpottler haben Sie sich nun schön aus den Fingern gesogen. Es war definitiv die Rede davon das im Ruhrgebiet die Internetaffinität nicht so hoch ist wie z.B. Hamburg oder Berlin.
Mag ja sein das Sie mit Freunden und Verwandten nur noch via E-Mail/IM/Blog kommunizieren. Andere bevorzugen das persönliche Treffen miteinander.
Würde ihre Behauptung stimmen das man nur genug Wirbel machen muss um die Leute ins Internet und ans Blog zu bekommen, dann frage ich mich, warum z.B. die Blogdichte im Ruhrgebiet doch eher mau ist.
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Na ja, wahrscheinlich mischen die WAZperten noch irgendwas ins Trinkwasser um die Menschheit vor den PC und ins Blog zu zwingen.
Ich mach jetzt Wochenende. Draussen. Ohne PC.
Schreibgeschützt 7. Juli 2006 um 21:11
Vielen Dank.
Prägnanter hätte man den Unterschied zwischen dem allgemeinen Bürgerjournalimus-Blabla, Web2.0-Ich-bin-Datenbankenhersteller-und-suche-ein-neues-Feld-um diese-massenhaft-abzusetzen-Hype etc. und der täglichen Arbeit von hunderten Redakteuren in der WAZ-Gruppe gar nicht darstellen können:
\“In der Diskussion darüber gleiten die Argumente ins hanebüchene ab. Zum Beispiel wird behauptet, der Ruhrgebietler an sich sei ja gar nicht im Netz. Er sei ein bodenständiger Biertrinker, der mit allem nix am Hut habe. Und selbst wenn die Online-Verbreitung geringer wäre als in anderen Regionen
(vielleicht findet ein Leser ja Zahlen darüber),…\“
Der Autor hat also eine Meinung (\“hanebüchen\“). Macht er sich die Mühe, diese zu begründen? Nicht wirklich. Er speist das werte Publikum mit der indirekten Feststellung ab, dass es sich doch gefälligst selbst die Mühe machen sollte, die benötigten Informationen zusammenzusuchen, um die Argumente zu überprüfen. Nett. Aber für diese Faulheit zahle ich nicht auch noch Geld. Ein Redakteur hätte zumindest in die aktuelle (N)Onliner-Studie geschaut, sich weitere Zahlen (\“zweite Quelle\“) besorgt und versucht, dem Publikum zumindest eine stichhaltige Begründung für die Bewertung zu liefern. Dafür zahle ich wiederum Geld. Wie ich überhaupt am liebsten Geld dafür zahle, dass mir andere Menschen Arbeit abnehmen, aber das nur nebenbei.
Man kann das verallgemeinern.
Der grundsätzliche Strickfehler im \“westeins\“-Projekt liegt darin, dass hier offenbar zwei Dinge miteinander vermischt werden sollen, die schlicht – zumindest *so* – nicht zusammen passen.
Sollte die WAZ-Gruppe eine Plattform für Communities und Web 2.0-Features einrichten? Auf jeden Fall! Hat das etwas mit dem zu tun, womit die WAZ-Männer künftig Geld verdienen können? Mit ihrem – auch künftigem – Kerngeschäft? Nicht wirklich.
\“Der Hype wird vorüberziehen, und Weblogs werden keinen großen gesellschaftlichen Umbruch angezettelt haben. Zumindest nicht hierzulande, wo politische Teilhabe auch anders möglich ist. Weblogs werden nicht die herkömmlichen Medien in die Knie zwingen, sondern diese ergänzen sowie sich eigene Nischen schaffen. Sie werden auch keine privaten Gelddruckmaschinen, aber sie können sehr wohl eine ganz persönliche Revolution sein. Und die sollten Sie auf keinen Fall verpassen.\“
Das hat Katharina bereits 2004 sehr zutreffend prognostiziert. Es wäre auch ein wenig zu viel verlangt, wenn unser aller Wohl und Wehe von der Veröffentlichung quersitzender Fürze, unterbelichteter Pics von Katern oder der genauen Beschreibung von zur Morgenstund´ aufgestellter Latten abhängen sollte. Sprechen wir also in Bezug auf das Projekt zum Beispiel mal über die verbleibenden 0,5 Prozent aller real existierenden Blogs mit einigermaßen messbarer Relevanz. Und da gilt: Das Geschäft der Informationsbeschaffung, Informationsbewertung und Informationsverwertung wird auch künftig in den Händen von Profis liegen müssen – sofern damit tatsächlich Geld verdient werden soll. Die Form der Informationsübermittlung ist dabei relativ schnurz. Es soll die Blog-Form sein? Schön. Lass es die Blog-Form sein. Die kann durchaus dazu dienen, journalistische Inhalte zu transportieren.
Nur… Wer soll bei diesem neuen Projekt die Formen füllen? Die geplante zehnköpfige \“Online-Redaktion\“? Sollte \“westeins\“ als Community-Plattform im bevölkerungsreichsten Bundesland wirklich ins Rollen kommen, wünsche ich schon mal viel Spaß bei der Bewältigung des täglich anfallenden Mülls – vom Blog-Spam bis zum Umgang mit dem Opfer suchenden Päderasten. Ob da Zeit für eigene Beiträge bleibt? Ich zweifle daran. Dann also die Mitarbeiter der verschiedenen Zeitungstitel. Wozu haben die in den vielen, vielen Lokalredaktionen so viele Leute sitzen? Auch hier gilt: Nur keine Herausforderung scheuen! Ich bin auf den Kampf mit den Tageszeitungsredakteuren, einem der strukturkonservativsten Berufsstände der Republik, sehr gespannt. Es geht übrigens das Gerücht, dass der durchschnittliche WAZ-Redakteur schon mal Probleme damit hat, den Bildanhang einer Mail zu entfernen und, leider, leider, in 99,5 Prozent der Fälle noch nie in seinem Leben gebloggt hat.
Aber Hallo-hier-komm-ich-Ulli wird das sicher noch schnell richten.
Das Problem ist nicht, dass die WAZ-Gruppe eine große Plattform betreiben will um die einzige kurzfristig erreichbare Erlösquelle im Internet, die Werbung, anzuzapfen. Das Problem ist vielmehr, dass es mittelfristig durchaus einen Internet-Markt für High Quality Content geben wird, den diese
Mediengruppe gerade verpennt, weil sie die falschen Schwerpunkte setzt. Mal ganz davon zu schweigen, dass alle die schon jetzt möglichen Maßnahmen zur Leser-Blatt-Bindung übers Internet (und ein paar Print-Leser gibt es ja noch) schlicht unterlassen werden. Hat einer der Jubler jemals eine WAZ-Ausgabe in PDF-Form gesehen? Einen Abonnenten, der seine NRZ-Ausgabe auf den Palm lädt? Den Käufer der WR, der sich nur den Sportteil saugt? Den WP-Kunden der die \“unterklassigen\“ Tabellen übers Handy abruft?
So etwas nennt man den zweiten Schritt vor den ersten tun. Mit der Folge, dass die alte Tante WAZ auch beim zweiten Versuch, endlich ernsthaft ins Internet-Geschäft einsteigen, stolpern und auf die Schnauze fallen wird.
Traurig, traurig, denn für eine kurze Zeit verfügt die WAZ-Gruppe noch über ungehobenes Gold: die professionell gesammelten, professionell gewichteten und aufbereiteten und professionell transportierten lokalen Nachrichten und lokalen Service-Angebote. Deren digitale Vermarktung im Internet-Zeitalter weder rechtzeitig angegangen noch für sich im angestammten Markt monopolisiert zu haben – darin liegt das größte Versagen der Essener-Konzernzenrale.
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 8:24
Das Problem ist nur, dass sich mainstream-mäßig viel Leute in diesen Nischenprodukten tummeln.
Schreibgeschützt 8. Juli 2006 um 12:17
@Chat:
Und die sollen in Gottes Namen auch alle von der WAZ dort abgeholt werden, wo sie sich bislang tummeln. Wenn ich mich nicht täusche, zielt die heftigste Kritik doch gar nicht gegen ein solches Plattform-Projekt.
Aber das als Rettungsanker für die sinkenden Tageszeitungsauflagen in NRW verkaufen zu wollen, wie es derzeit massiv geschieht,… dazu gehört schon Chuzpe!
Don Alpohonso 8. Juli 2006 um 13:21
Also, es würde mich schon mal interessieren – wie ist das jetzt eigentlich, wenn die kommende Cheffin noch in Berlin bei einem PR-Projekt weilt? Experten sind informiert, die Leute vor Ort sehen laut Lyssa noch der Vorstellung entgegen. Wenn meine Zeitung ein Projekt machen würde, und ich müsste mir die Infos bei ein paar mehr oder sehr viel weniger fähigen Bloggern oft ohne Expertise und Track Record zusammensuchen, da würde ich doch selbst als kleiner Prakti kotzen ohne Ende.
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 13:47
Yep – das glaube ich ja auch, dass sie bei WAZ und Co. noch gar nicht geschnallt haben, was mit \“fragmented media\“, \“Ende des Gatekeeper-Journalismus\“, \“individualisierte Massenkommunikation\“ usw. wirklich gemeint ist. Sie versuchen ein Phänomen, für das das \“Fragmentierte\“ nicht typisch, sondern existentiell ist, in einen unfragmentierten Rahmen zu pressen – unter dem Motto: Wir Gatekeeper bloggen jetzt selber. Sogar über Preußen Münster.
Naja, meinen Segen haben sie …
Don Alphonso 8. Juli 2006 um 14:33
Gut, ich meine aber, dass Blogger es auch nicht gerafft haben und schon gar nicht \“Eperten\“, deren Blogs keine alte Sau liest und alle über den Stuss nur den Kopf schütteln. Das ganze von den Blitzkarrieren über die Chaoskommunikation und die Lobhudler bishin zur Mitarbeiterhängenlasse riecht so abartig nach New Economy, dass ich mir eigentlich von den Klugeren der Epertenrunde etwas mehr Unvoreingenommenheit in der Berichterstattung gewünscht hätte. Wenn die Freundinblogs grottenschlecht sind und Focus Live eine Lachnummer, wie von Thomas Knüwer hier im Blog anschaulich gezeigt, was ist dann Westeins?
Meines Erachtens ist die ganze Chose eine Scheindebatte. Es geht doch nicht um Software oder die Chimäre der Vernetzung, die in den Blogs irrwitzig überschätzt wird (nur 10-15% meiner Leser folgen einem Link), es geht um die Möglichkeiten und Grenzen von Journalismus. Und die Debatte will keiner, weil das nächste Wort \“Qualität\“ wäre. Und dann Kosten. Die freien Blogger werden erstaunt sein, wenn sie mitbekommen, welche Zeilenhonorare für kleine Freie üblich sind. Und die WAZ wird überrascht sein, wenn es an das Redigieren geht.
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 15:23
Sagen wir\’s Ihnen doch: Ein Tagessatz 200 Euro oder aber 0,50 Cent je Zeile – das gilt hier bei uns in der Region als übliches Honorar für freien Journalismus im Low-Quality-Bereich von Vereinsjubiläen abfrühstücken oder Pressekonferenzen wiederkäuen. Natürlich direkt in den Satz reingetippt. Bis hier wären\’s damit 3,50 Euro. Notorische Kleinschreiber haben allerdings dann nichts mehr zu melden.
Don Alphonso 8. Juli 2006 um 16:20
Lustig wird es erst, wenn es um Radiobeiträge und podcasts geht: Die WAZ hängt ja auch bei den Lokalradios drin. Abgesehen von abgenudelten PR-Beiträgen habe ich in NRW mal was von maximal 50 Tacken pro Beitrag gehört. Und zar sauber gesprochen, nicht irgendwie ins 2,99-Mikro genuschelt.
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 17:53
Naja – mit 51 Cent bei unserem verschnarchten Weser-Kurier lag ich doch gar nicht so schlecht, obwohl ich die Zahl nur vom Tresen-Talk kannte. Dass allerdings die Preise in der Rubrik direkt darunter rapide in den Keller rauschen, und zwar sobald irgendwo \“westfälisch\“ auf einem Titel steht, das ist allerdings verdächtig. Und es macht richtig Appetit auf das WAZ-Projekt – während es mir zugleich die bekannt hohe journalistische Qualität dieses Produktes erklärt. Was meint ihr, was die Blogger nach diesem Zeilengeld stratzen, wenn der kleine Hunger kommt?
Don Alpohonso 8. Juli 2006 um 18:17
Vor allem: Welche Blogger. Bei 15 Cent kriegt man immerhin 1300 Zeilen für die 200 Euro, die Germanblogs von Holtzbrinck im Monat zahlt. Macht bei 45.000 Zeichen. Das sind bei meiner Tätigkeit 10 mittelprächtige Geschichten. Oder vier grosse Brocken. Für lumpige 200 Euro. Ich will hier keine Betriebsgeheimnisse verraten, aber bei uns wird erheblich besser bezahlt. 4 grosse Geschichten für 200 Euro, nein danke, wenn ich mal so weit runter kommen sollte, mach ich lieber Hartz IV. Da kostet ja schon der Strom für das Notebook und die Tasse Tee mehr. Da bekommt man entweder Zweitverwertung, oder Trash, wahrscheinlich aber beides. Wenn man noch davon ausgeht, dass die letztlich Einpalter mit maximal 1500 haben wollen, kann man sich in etwa vorstellen, was das für eine Vergütung sein wird.
Umgekehrt, wenn ich schon als Zeilenknecht so kurz gehalten werde, würde ich es lieben, wenn jeder dahergelaufene Blogger jetzt das Gleiche bekommt.
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 18:45
Immerhin – man kann so sehr viel Steuern sparen. Denn bei der Einkommenssituation winkt der Mann vom Finanzamt den bloggenden Steuerpflichtigen nur noch weinend durch – und dankt dem Himmel, dass er Beamter ist.
Aber mal \’nen Perspektivwechsel: Die wichtigste Fähigkeit in einer Informationsgesellschaft ist nun mal die Sprachlichkeit oder die Schrift. Weil\’s der Sinngebung dient. Wenn irgendein Geschäftsführer, der selbst keinen geraden Satz über die Lippen kriegt, den ihm nicht vorher jemand aufgeschrieben hat, seinen Textern – egal ob nun Blogger oder Journalist – halbcentweise die Existenzbasis wegknappst, dann ist \“hirnlos\“ für seinen verkommenen charakterlichen Zustand ein zu schwaches Wort. Denn er richtet nicht nur diese Leute zugrunde, sondern auch sein Medium. Diese Figuren aber gucken nur noch bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung – nur noch da überkommt sie die Furcht des Herrn.
jo 8. Juli 2006 um 19:53
Bisschen früh die Diskussion über Bodos Fell. Schauen wir doch erstmal in welchen Teilbereichen überhaupt Blogger/\“Bürgerjournalisten\“ eingesetzt werden sollen, bevor mal wieder der Niedergang der abendländische Zeitungskultur proklamiert wird.
Die Zeilenhonorare für Freie im Lokalen mit großen Stücken in Magazinen oder Wochenzeitschriften zu vergleichen macht da wenig Sinn.
Dass sie beschissen bis indiskutabel sind war als kurzer Hinweis für die Laufkundschaft hier in den Kommentaren gedacht, die mitlesenden Kollegen kennen die Situation ja ohnehin.
Prospero 8. Juli 2006 um 20:56
Oh, das mit den Honoraren macht schon Sinn, schließlich sagt Lyssa ja selbst in der neuen Ausgabe von \“Was mit Medien\“, die sich mit dem ganzen beschäftigt – nettes Interview vom Blogmacher bye the way 😉 – dass sie schon dafür sorgen will dass Blogger, deren Texte dann im Print erscheinen, anständig bezahlt werden. Begabte Blogger fiel dann noch als Begriff. Das klingt jetzt eher danach, dass nicht jeder Leser bloggen darf – eventuell muss man ja demnächst ein Probblog abliefern bevor man genommen wird… *sarkastischLächel*
Aber wie dem auch sei, warten wir mal ab was da kommt – es klingt momentan sehr nach einer Kreuzung von journalistischen Artikeln aus den noch vorhandenen Lokalredaktionen, Lyssa sprach diesen Punkt auch an dass man bei der WAZ registriert sein muss um auf die ganzen Artikel zugreifen zu können was sie offenbar nicht toll findet, und einem Digg/Yigg/Netscape-Element a la Leser schreiben Artikel, bewerten die, kommen dann auf die Hauptseite wenn sie a) gute Bewertungen bekommen und b) die Redakteure dann noch meinen dass sie gut sind. Ansonsten hat man da nämlich sehr schnell viel Trash auf der Homepage – nichts gegen Digg oder Yigg natürlich.
Vielleicht gibts bei der WAZ dann auch Module a la Netvibes? Warten wir es ab.
Ach ja: Bei Opinio gibts übrigens offenbar kein gedruckte Extra-Magazin mehr sondern nur noch die Zeitungsseite am Dienstag. Dazu gab die Redaktion am 05.07. bekannt, dass bald eine Erklärung kommen wird – auch nicht direkt auf der Startseite sondern versteckt im Kommentar zum Artikel – ob und warum oder auch nicht. Das Internet ist doch eigentlich ein schnelles Medium, oder? Aber jetzt haben wir schon den 08. Hmm…
Ad Astra
Chat Atkins 8. Juli 2006 um 23:43
\“Die dann im Print erscheinen\“ – und was ist in Lyssas ach so menschenfreundlichem Konzept mit denen, deren Texte \“nur\“ online erscheinen?
*ich frech ja bloß*
Prospero 9. Juli 2006 um 1:39
Gute Frage. Es kann auch sein dass sie das auf alle Blogger bezogen hat. Manchmal sind Transkripte ja äußerst hilfreich, selbst nach dem dritten Mal anhören komme ich nicht drauf ob sie damit alle Blogger meinte oder nur die, die dann im Print erscheinen dürfen. Diese Gewittergeräusche in Berlin waren aber auch störend.
Ad Astra
Prospero 9. Juli 2006 um 2:01
Antwort von Lyssa ab 27:17 – \“[…] wir werden hoffentlich möglichst viele motivierte freie Blogger beschäftigen können, die angemessen bezahlt werden, also nicht hier mit wie in anderen, von anderen Projekten bekannten irgendwelchen lächerlichen Beträgen abgespeist werden und ich möchte einfach Lesern die Gelegenheit geben sich zu beteiligen sei es durch Kommentare oder bloggen oder Photos oder Videobloggen oder sonstwas. Aber ich glaube ich werde kein Budget kriegen Leser fürs Bloggen zu bezahlen, aber was ich zum Beispiel großartig finde wenn sich talentierte Leser finden würden, [deren Beiträge. P.] dann umgekehrt den Weg in die Printausgabe finden dass die dann natürlich angemessen bezahlt werden wie Freie zum Beispiel auch. Also ich möchte jetzt nicht damit anfangen Lesertexte in die Printausgabe zu übernehmen und dafür nicht den ganz normalen Zeilensatz zu zahlen den man auch Freien bezahlt […] Aber ich habe auch gemerkt bei dem strategischen Dialog am Montag, dass auch andere Blogger da keine Pauschalantwort für haben z.B. wie sieht eine angemessene Bezahlung für Blogger aus, ist ja nicht einfach mit Zeilensätzen abzugelten […]\“
Also selbst wenn ich das niederschreibe ist mir das nicht klar: Gibt es da jetzt Pläne für nennen wir sie mal Alpha-Blogger, die dann regelmäßig Beiträge für die WAZ abliefern und sowas wie freie Mitarbeiter sind und dann die Beta-Blogger, die nur ab und an was beisteuern dürfen? *grübel*
Ja, ich bin manchmal penibel ich weiß, aber niederschreiben hilft manchmal enorm um Sinn zu erkennen – manchmal halt…
Ad Astra
Chat Atkins 9. Juli 2006 um 8:41
\“Angemessen bezahlt wie Freie auch\“ – 15 Cent je Zeile gäbe es bspw. bei der \“Westfälischen Rundschau\“ für \“Freie\“ (schönes Wort!), lese ich unter obigem Link vom jo. Dafür muss das Bloggerchen aber reichlich bloggern – weil erstens laut Lyssa nicht jedes Kamel durchs Redaktionsnadelöhr passt, und weil zweitens die satten 15 Euronen, die es dann für 100 Zeilen geben würde, ja auch noch versteuert und versichert werden wollen.
Aber macht man – ihr Blogger wie ihr Medienexperten: Ich komme dann hinterher mit dem Struppiwagen und sammle die Reste ein …
Prospero 9. Juli 2006 um 16:03
Struppiwagen? Du meinst die Müllabfuhr?
Na ja, steht ja noch gar nicht fest ob die Blogger auch nach Zeilenanzahl bezahlt werden oder ob da andere Kriterien greifen. Wie man Blogger bezahlen könnte ist auch eine spannende Frage die sicherlich heiß in der WAZ-Zentrale momentan diskutiert wird. Auf das Ergebnis bin ich sehr gespannt.
Ad Astra
Jens Matheuszik 9. Juli 2006 um 19:26
@Don:
Ich weiß jetzt nicht wo es stand – aber meines Wissens beginnt Katharina Borchert erst am 01.08.2006 bei der WAZ.
50hz 10. Juli 2006 um 7:48
Könnt Ihr mal aufhören, übers Geld zu schwadronieren? Die Welt besteht doch nicht nur aus \“Ich wäre so gern Journalist Germanisten\“, die sich nun nicht nur als Freie sondern auch noch als Blogger gegenseitig das knappe Wasser abgraben.
In meiner Welt gibt es ein paar Leute, die was zu sagen haben ohne dabei auch nur eine Sekunde ans Geld zu denken.
Chat Atkins 10. Juli 2006 um 9:15
@50hz: Hej – ich schreibe hier doch nur, ohne ans Geld zu denken. Und ich habe auch nicht im Entferntesten die Absicht, auf Lyssa\’s schniekem Mediendampfer anzuheuern. Insofern ist deine Kritik gegenstandslos. Mir geht\’s eher um die Frage: \“Wie soll das denn funktionieren?\“ Auf die Art habe ich schon als Kind jedes Spielzeug kaputt gekriegt.
@prospero: Struppiwagen – das waren im 18. und 19. Jahrhundert kleine Handkarren von Trödlern, die von einem echten Wauwau gezogen wurden. Im niederdeutschen Raum hat sich der Ausdruck gehalten. Er meint so etwas wie einen Schrott- und Lumpentransporter.
Schreibgeschützt 10. Juli 2006 um 9:16
Mag sein. In der WAZ-Welt allerdings gibt es niemanden der etwas zu sagen hat, der nicht jede Sekunde ans Geld denkt.