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Mein Gesprächspartner: „Die Erde ist eine Scheibe.“
Ich: „Nein, ist sie nicht.“
Er: „Doch. Das sind die Fakten.“
Unmöglich? Nein, so ähnlich verlief ein Interview, das ich gestern in Berlin führte.
George Taylor ist trotz seines britischen Namens Holländer. Und er verkörpert vieles, was wir Deutsche an Niederländern sympathisch finden: Fröhlich kann er sein, charmant, sein Lächeln ist so jungenhaft, wie ein Endfünfziger halt jungenhaft wirken kann.

Mit eben diesem Charme begann auch das Interview, das ich gestern mit ihm führte. George Taylor ist der Chef von ISE, jenem Unternehmen, das exklusiv Hospitality-Tickets für die WM vermarktete. Das sind Eintrittskarten für Top-Plätze mit Bewirtung. Die soll üppig sein, weshalb jene Karten ziemlich teuer sind. Die günstigste Kategorie (600 Euro) war schnell ausverkauft, derzeit gibt es Karten ab 1000 Euro pro Spiel.

Gestern nun gab es in Berlin den ersten Spatenstich für das angeblich größte Bewirtungsareal seiner Art weltweit, direkt neben dem Olympiastadion.

Journalisten waren geladen, Diplomaten und natürlich Fußball-Funktionäre. Von dem Vip-Zelt existieren derzeit natürlich nur Computeranimationen, die mich an jene lärmigen Buffetzonen von Cebit-Ständen erinnern, an deren Tischen die Ton-Aufzeichnungen von Interviews jedes Mal desaströse Ergebnisse bringen.


Der eigentliche Vip-Bereich des Olympiastadions dagegen flößt Respekt ein: Edles, dunkles Holz paart sich mit Sandstein, Geschichte trifft Kommerz trifft Luxus ? danach wirken die Gegenstücke in Schalke, Dortmund oder Düsseldorf wie billige Eckkneipen.


In einer jener Skyboxen, wie der Potsdamer sagt, gab es nun die Pressekonferenz, auf der Taylor verkündete, dass 82,5 Prozent aller Hospitality-Tickets verkauft seien. Das verwunderte mich sehr: Nach unseren Informationen, läuft der Verkauf eher schleppend. Außerdem hat Taylors rechte Hand, Andreas Hacker, der erst im September vergangenen Jahres als frischer Wind bei ISE angetreten war, das Handtuch geworfen ? was ISE selbst bisher aber verschwiegen hat.

Die Hospitality-Tickets werden verkauft, das noch als Ergänzung, in vier Preiskategorien. Die günstigste, wie gesagt ist schon vom Markt. Nun sollte das auch bei „Elite“-Karten der Fall sein, der zweithöchsten Preisstufe.

Also der Gegencheck: Noch während der Pressekonferenz versuchte Ex-Ringe-Reporter Grischa Brower-Rabinowitsch von Düsseldorf aus, Elite-Karten zu ordern. Ergebnis: kein Problem. Vielleicht für England gegen Schweden in Köln, das heiß begehrte Spiel das in einem verhältnismäßig kleinen Stadion ausgetragen wird und für das reichliche Investmentbanker aus London einfliegen wollen? Kein Problem. Deutschland-Spiele? Kein Problem. Ein interessantes Interview kündigte sich an.

Zuvor aber konnten sich die Gäste noch davon überzeugen, dass die Luxus-Karten-Besitzer während der WM Mahlzeiten serviert bekommen, deren optische Qualitäten…

… die kulinarischen bei weitem übersteigen. Der Kollege von „La Tribune“ sei hier als Vertreter eines Gourmetlandes zitiert: „Na ja, geht so.“ Nudeln, das als Hinweis, schmecken warm übrigens besser als kalt. Aber so ist es halt, wenn man als Showküche die Penne nicht mit geraspeltem Käse bestreut, sondern sie unbedingt in einen ausgehölten Käselaib wirft, in dem der Koch dann mühsam versucht, Käse abzukratzen und mit dem erkaltenden Teigwerk zu vermengen.

In einer Loge dann die Begegnung mit George Taylor. Presse mag er nicht so unbedingt, das wurde schnell klar. Ohnehin ist seine Unternehmung eine verschwiegene. Er war einst Manager von Johan Cruyff, als der zum Karriereende in den USA kickte, das scheint klar. 1981 gründete er in New York Sports Mondial (Das Unternehmen ist nicht identisch mit einem Eintrittskartenhändler gleichen Namens, der in Australien und England mit dubiosen Machenschaften bekannt wurde).

Sports Mondial verfügt angeblich, sagt Taylor, über eine Homepage. Die Adresse laute www.sportsmondialinc.com, „aber sie wird natürlich wenig frequentiert“. Vermutlich, weil sie nicht ans Internet angeschlossen ist. Denn diese Adresse ist ebenso wenig zu finden, wie Hinweise auf irgendwelche Aktivitäten von Sports Mondial außerhalb der ISE, an der Taylors Firma zehn Prozent hält. Auch eine aktive Telefonnummer in New York habe ich nicht ausmachen können.

Nach Aussage Taylors hat sein Unternehmen drei Fifa World All Star Games mitorganisiert: 1982 in New York, 1986 in Pasadena und 1995 in Tokio. Dieses Spiel allerdings wird bei der Fifa nicht gelistet.

Und während er sich nicht an die Homepage-Adresse seines Unternehmens so richtig erinnern kann, kann er doch die Einnahmen herunterleiern, die Sports Mondial aus diesen Matches an wohltätige Organisationen spendete. Auch kann er ganz genau den Werdegang der drei Profi-Radteams rezitieren, an deren Gründung er mitgewirkt habe, darunter das 7-Eleven-Team, das heute Discovery heißt. Immerhin wird er im Zusammenhang mit Radsport in der Tat auffällig, so bezeichnet ihn die „Velo News“ als „a Dutch sports agent living in New York City who was a familiar with securing major sponsorships“.

Sports Mondial also ist ein Unternehmen, das anscheinend lieber hinter den Kulissen arbeitet. Und deshalb hat Taylor auch wenig Erfahrungen mit Interviews. Das wiederum ist keine gute Voraussetzung für eine Position im medienträchtigsten Sportereignis der Welt neben den Olympischen Spielen.

Doch trotzdem war ich hochgradig erstaunt ob seiner Reaktion auf unseren Testanruf in Sachen Elite-Tickets: „Das hat keiner meiner Leute gesagt.“
Ich: „Doch. Gerade eben, während der Pressekonferenz.“
Taylor: „Das stimmt nicht. Ich gebe Ihnen hier Fakten.“

Interviewführung per Realitätsnegierung ? trifft man selten. Übrigens: Auch heute noch wird die „Elite“-Kategorie auf der ISE-Homepage nicht als ausverkauft angezeigt.

Ebenfalls unterhaltsam war seine Reaktion auf einen Widerspruch innerhalb des ISE-Angebotes. Es gibt nämlich seit kurzem die Seite Premium Football, auf der Privatleute ebenfalls Hospitality Tickets kaufen können. Dort gibt es auch einen Online-Shop. Dieser zeigt aber noch Kontingente für Spiele an, die für Firmenkunden laut Homepage von ISE bereits ausverkauft sind. Bei der ISE-Seite allerdings gibt es keinen Online-Shop sondern nur eine Datei, die den Verkaufsstand anzeigt.
Taylor aber behauptete steif und fest, dass es dort sehr wohl eine Netz-Einkaufsfunktion gebe: „Sehen Sie, Sie haben nicht mal richtig recherchiert.“ Mangels Online-Zugang konnte ich im diese Unverschämtheit leider nicht direkt um die Ohren hauen. Denn natürlich gibt es auf der ISE-Seite keinen Shop.

Es waren die merkwürdigsten 20 Interview-Minuten, die ich je erleben durfte. Das merkte wohl auch Taylors PR-Berater und besorgte mir noch den deutschen General Manager. Der versuchte wenigstens einigermaßen plausibel das Ausverkauft-ist-nicht-ausverkauft zu erklären: Es gebe immer noch ein Pufferkontingent von 50 Karten. Bei einem Anteil verkaufter Karten von 82,5 Prozent ist das gleichmäßige Interesse an allen Partien aber doch bemerkenswert, existiert dieser Puffer doch anscheinend bei fast allen Spielen.

Dafür behauptete er, die Unterschiede zwischen den Angeboten von Premium Football und ISE erklärten sich daraus, dass die Karten auch auf der offiziellen WM-Homepage gekauft werden könnten und deren Online-Shop nicht mit dem von Premium Football gekoppelt sei, also jeweils Kontingente bereit gestellt werden müssten. Das entpuppte sich dann auch als Blödsinn, die Fifa-Seite leitet auf den gleichen Shop durch.

Überraschenderweise gab es trotz der bizarren Interviews etwas Positives ? und so widersprüchlich das klingen mag: Es war die Pressarbeit. Seit kurzem arbeitet ISE offensichtlich erst mit CNC Communications zusammen, einer Agentur in deren Partner-Reihen ich zwar einen einen typischen PR-Chaoten entdeckt haben, die aber gestern ihren Job mit einer Professionalität erledigt haben, wie sie schon lange nicht mehr erleben durfte: zuverlässige Absprachen, ruhiger Ablauf, freundliche aber nicht schleimige Ansprache ? auch so etwas gibt es halt noch. Schade, dass sie noch nicht die Zeit gehabt haben, um der ISE-Spitze einige Sachen beizubiegen.

Und psychologische Tricks beherrschen sie auch. Damit die Fragerunde am Ende der Pressekonferenz nicht zu lange dauerte, wurden auf den Flachbildschirmen unter dem Schriftzug „Haben Sie noch Fragen“ Kuchenstücke eingeblendet. Das lässt bei den buffethungrigen Hauptstadtjournalisten anscheinend jeden Frage-Willen absterben.


Kommentare


Alex 7. April 2006 um 9:50

„In einer jener Skyboxen, wie der Potsdamer sagt…“

Das ist die meines Wissens erste Erwähnung eines Potsdamer Dialektes im Handelsblatt.
Vielen Dank für diese Ehre 😉
Auch wenn mir dieser Begriff in Potsdam bisher noch nicht über den Weg lief – ich werde mich umhören.

Ciao, Alex

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