Es gibt ja Ankündigungen, bei denen man sich sicher sein kann, dass jenes anzukündigende Ereignis gewaltig daneben geht. Zum Beispiel, wenn jemand verspricht, das Publikum einzubinden ?in einen Event mit stark emotionalen Programm-Punkten? ? so wie die Cebit für ihre gestrige Eröffnung. Wummernd zerreißt ein gelegentlicher Bass-Bumms das Synthesizer-Gewaber aus den Boxen. So, als sei dies der Jurassic Park und gleich durchbräche in Tyrannosaurus das Unterholz. Doch kein Dino taucht auf dem Bildschirm auf – sondern die Kanzlerin.
Punkt 18 Uhr dürfen 2000 Menschen jeden Schritt verfolgen, den sie tut in dem wunderschönen Kuppelbau, der den wunderhässlichen Namen Hannover Congress Centrum trägt. Live wird übertragen, wie Hannovers Bürgermeister Schmalstieg ihr die Hand schüttelt, wie die beiden zusammen mit Christian Wulff vor einer Cebit-Tapete abgelichtet werden (ähnliche Szenen kennt man nach der Oscar-Verleihung, wenn die frisch gekürten Sieger hinter der Bühne den wartenden Journalisten zurufen müssen, dass sie unheimlich glücklich sind). Schließlich durchschreitet das Trio einen Tunnel, als gelte es gleich ein Champions League-Finale zu bestreiten und ist ? endlich ? im Saal.
Einst waren Cebit-Eröffnungen bestens besetzte, aber äußerst dröge Abende. Doch zum 20. Geburtstag muss man es ja mal krachen lassen. Her mit dem Event, auf dass es schön und bunt werde. Weil alle so emotional ist, muss es auch einen berührenden Höhepunkt geben: die Kanzlerin, die Aufbruchstimmungsverbreiterin.
Was sie selbst davon hält, demonstriert sie kurz nach Betreten des Saals: Als sich ein Lichtkegel auf sie richtet wie auf eine Primadonna vor dem großen Solo, lächelt sie kurz gequält und dreht der Helligkeitsquelle schnell den Rücken zu.
Das Bild auf der anderen Seite ist aber auch nicht schöner. Zu Musik wie aus einem billigen Science-Fiction-Streifen gibt eine Gruppe junger Menschen, die sich als Chor entpuppen, das Thema „Variationen über Isolation in der Masse“ (also einer läuft verwirrt herum, die anderen gehen steif und schnell ihres Wegs), ein vor allem im Avantgarde-Theater beliebtes Motiv. Anschließend demonstriert eine Hand voll in Cebit-Rot gewandeter Tänzer ihr im VHS-Kurs „Ausdruckstanz für Fortgeschrittene“ erlerntes Können, während auf der Leinwand elegische Begriffshülsen wie „Shared ideas grow bigger“ oder „Are you real?“ aufleuchten. So inszenieren sich sonst nur US-Konzerne, die sich wünschen, ihre Mitarbeiter seien ihnen treu wie Sektenmitglieder einem Guru.
Ein Video mit Geburtstagsglückwünschen von IT-Managern beweist zum einen, das die Zeiten von Vorstandschefs mit Ausstrahlung vorbei sind, und zum zweiten, dass Siemens-Chef Klaus Kleinfeld vor der Kamera wirkt wie ein mit Adrenalin aufgepumpter 9Live-Moderator.
Damit er nicht der einzige bleibt, der per Einspielfilm zum Pausenclown degradiert wird, folgt eine Hommage an 20 Jahre Cebit, die sich vor allem im Lächerlich-Machen unkundiger Politiker ergeht. Da darf Ex-Postminister Wolfgang Boetsch noch mal stolz verkünden, dass er seinen Videorekorder programmieren kann und Gerhard Schröder fordert eine bessere Spracherkennungssoftware, „weil ich lieber in den Computer reinspreche“.
Da wirkt selbst Hannovers Oberbürgermeister Schmalstieg eleganter. Eigentlich kann er nicht reden, das aber kann er ganz knuffig. Schönster Satz diesmal: „Wir können hier (auf der Cebit) Globalisierung an einem Ort erleben ? das ist gelebte Globalisation.“
Bitkom-Chef Willi Berchtold erschlug auch das letzte Interesse an seinem Vortrag mit dem Fußball-Vergleichs-Hammer: „Die Cebit ist wie ein Fußballfeld“, die Politik müsse „gute Pässe liefern“, die würden die IT-Unternehmen dann verwandeln. Und die Informatik sei 2006 so unverzichtbar wie, genau, die Fußball-WM. Fußball oder maritime Motive – dazu greifen auch Journalisten, wenn ihnen die Ideen ausgehen.
Wie Berchtold sich seine persönliche WM vorstellt, erklärte er unter eisigem Schweigen der Zuhörer auch. „Das Ambiente wird intelligent“, warf er Haustechnik, Unterhaltungselektronik und Chauvinismus zusammen. „Das heißt, meine Herren, während der Fußallübertragungen wird ihnen im genau richtigen Moment ein kühles Bier serviert.“
Vodafone-Chef Arun Sarin fragte sich anschließend, was die Leute in 20 Jahren wohl über seinen Vortrag denken werden. Nichts, vermutlich. Die Zuhörer gestern werden auch nicht viel gedacht haben angesichts eines 30-minütigen Bombardements von Marketing-Floskeln aus dem Erstsemester-Programm. Fazit: Die Branche muss Kundenwünsche befriedigen. Eine bemerkenswerte Erkenntnis, die angesichts ihres Neuigkeitscharakters nur noch durch die Entdeckung „Der Ball ist rund“ hätte überboten werden können.
Die Latte für die Kanzlerin lag also niedrig ? doch das wäre nicht nötig gewesen. Angela Merkel war gut. Richtig gut. Sogar rhetorisch. Hier ein kleiner Ausflug in die Geschichte deutscher Erfindungen, dort ein Schuss Ehrlichkeit („Der Mut zur Lücke in der Politik hat uns oft gefehlt“), dann ein Hauch Philosophie („In einer vernetzten Gesellschaft müssen Politik und Wirtschaft interagieren, obwohl wir Politiker vorher wissen, dass wir in einem Prozess keinen Einfluss nehmen können“). Und schließlich ein wenig menscheln vor dem Messerundgang am Donnerstag: „Ich hab ein wenig Angst, vieles nicht zu verstehen, was Sie mir morgen zeigen werden.“
Selbst die berufszynischen Journalisten im Presseraum ? so sie ihn nach einem odyssehaften Weg ohne große Schilder gefunden hatten ? konnten nur kritisieren, dass Merkel am Ende das Branchenkürzel ITK mehrmals zu IKT machte.
Die Neue war der einzige würdige Programmpunkt des Abends, bevor Schmalpopper Patrick Nuo den Cebit-Song vortrug, eine kirchentagstaugliche Synthesizer-Soße, die eine zuvor nicht gestellte Frage beantwortete: Wie oft lässt sich das Cebit-Motto „Join the Vision“ ? das ja ohnehin als Einladung zum Drogenkonsum missverstanden werden könnte ? in einem Lied unterbringen. Antwort: zu oft. Viel viel viel zu oft.
Am Ausgang durfte das auf CD gebannte Werk kostenlos mitgenommen werden. Inklusive eines Freundschaftsbändchens in BRD-Farben. Wer so was trägt? Der Kollege von der „Bild“ heute morgen.
Kommentare
Christian Heindel – IT Solutions & Consulting 9. März 2006 um 13:24
Angela Merkel auf CeBIT, 2002
Wie sich die Zeiten ändern!
Damals: Wahlkreis 300 (Spiegel, politik-digital)
Heute: Merkel kündigt «nationalen IT-Gipfel» an
Update, 9. März: Unsere Kanzlerin scheint sich ganz tapfer geschlagen zu haben…
…
Geneva Information 9. März 2006 um 13:37
Ich erinnere mich noch gut. Ich war jung und unbedarft und auf der Cebit. Das war ein lautes Spektakel. Also wirklich laut, bumm-bumm-bumm. Da ging hinter mir auf einmal Musik an. Ich drehte mich herum und sah – eine Vorführung! Tanz! Gesang! Männer,…
Claus the mouse 9. März 2006 um 14:09
Was war es denn nun, was da unter der joining Angie cebitalissimo herumgereicht wurde? Kerala Blue oder Cebit light? Das beste, das Wetter ist so schlecht, dass man nicht vor´s Haus kann und beides bleibt einem erspart.
maternus 9. März 2006 um 15:25
Ach ja, endlich kann es Vok Dams, dieser Mastodont der Event-Szene, mal wieder so richtig krachen lassen. Man hat ja schwer geliten in den Jahren 2001ff., als sich statt Megalomanie nur noch Schnittchen mit Sekt an den Mann bringen ließen.
Jetzt darf wieder geklotzt und der Satz von vor vier Jahren „small is beautiful, too“ als windige Durchhalteparole entlarvt werden.
Ein aufschlußreiches Bild. Die Selbst- und Andersdarsteller haben nix dazugelernt, ob sie Eventmanager oder Politiker heißen.
Kuroi Tenshi’s darkness 10. März 2006 um 3:11
Interessante Einblicke in die Cebit bringt derzeit Thomas Knüwer im Blog Indiskretion Ehrensache an den Mann. Sehr lesenswert, wirklich, ganz ehrlich…
Und es bleibt die Erkenntnis, das sich die Kanzlerin wohl ganz gut schlägt und scheinbar der Höhe…
Lucomo 10. März 2006 um 23:09
Sehr schön geschrieben. Musste mehrmals laut lachen. Gut zu wissen auch, dass die Veranstaltung sich dann doch noch für jemanden gelohnt hat. Ein zufriedener Bild-Redakteur ist schließlich auch was wert.
jo 11. März 2006 um 16:46
Bei „Event mit stark emotionalen Programm-Punkten“ dachte ich ja erst, Teamworx (die Filmproduktionsfirma, nicht die Consulter) hätten einen epischen Zweiteiler mit Tanja-Anja in der Hauptrolle inszeniert.
Schicksaljahre einer Praktikantin: Liebe, Schmerz und Schwangerschaft.
Als historischer Hintergrund den New Economy Crash von 2001. Statt eines Abspanns ein Ticker mit alten Nemax-Notierungen.
Doch, das wäre für alle Anwesenden ein emotionaler Event.
Und wenn es unbedingt sein muss: Cliffhanger, Einblendung „5 years after – up to the top where we belong!“ in bester Siemens-Tradition und …
… *tatä* die Kanzlerin betritt die Arena. Auf der Videowall: Blühende Felder. Im Hintergrund: Wagner vielleicht.