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Interessante Menschen trifft man bei Olympia, berichtet Grischa Brower-Rabinowitsch aus Sestriere. Zum Beispiel zwei offizielle Sportpfarrer. Gestern Abend habe ich den olympischen Geist getroffen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die beiden Sportpfarrer, der Katholik Hans-Gerd Schütt und der Evangele Thomas Weber, waren hier im Deutschen Haus in Sestriere und haben eine kleine, 15-minütige Andacht gehalten.

Während im Haus mehr als 100 Menschen rumtobten, haben sich vier ernsthaft interessierte eingefunden. Dazu kommen zwei Kameraleute, die die ganze Zeremonie auf Zelluloid bannen und sich nur für Ton und Bildqualität interessieren, drei Journalisten, die mehr an den Pfarrern als an Jesus interessiert sind und ein Fotograf, den die Worte von Weber so beeindrucken, dass er das fotografieren beinahe vergisst.

Eine traurige Gesellschaft. Besonders das Kamerateam, das leider nicht im Bild ist, stört die Andacht erheblich.

Umso erstaunlicher, dass Schütt sich hinterher regelrecht frohgelaunt bereit erklärt, mit mir noch für eine Geschichte zu sprechen. Das erste was er sagt : „Da holen wir uns aber erst einmal ein leckeres Bier dazu.“ Das klingt doch gut…

An der Theke besorgen wir uns ein Weizenbier (Pfarrer) und ein Pils (ich) und verkrümeln uns dann in eine ruhige Ecke.
Schütt kommt schnell richtig ins Plaudern. So ein bisschen sieht er aus wie ein idealtypisch dargestellter katholischer Pfarrer aus einem Film, der sich statt den Frauen den anderen leiblichen Genüssen – gutes Essen und Trinken – widmet: Kleine Statur, runder Bauch und ein fröhliches, offenes Gesicht. Sein evangelischer Kompagnon Weber ist dagegen ein gut aussehender Hüne. (Weber ist für das Foto in die Knie gegangen, sonst hätten die beide ausgesehen wie Dick und Doof!):

Da frage ich mich doch, was so ein Sportpfarrer macht. Und Schütt erzählt, dass sie zum Beispiel so einer Art Maskottchen sind. Die Rodler haben die beiden Geistlichen regelmäßig gebeten, bei Wettkämpfen vorbeizuschauen und die Daumen zu drücken. Das haben sie natürlich gerne gemacht, Gott als Glücksbringer im Schlepptau. Hat der Rodel-Mannschaft wahrlich etwas genützt. Halleluja!

Die beiden Geistlichen stoßen auch gerne mal auf die Erfolge der Athleten an. Gestern waren sie zum Beispiel bei der Biathlon-Staffel und haben in der Wachskammer mit den Jungs von der Technik einen doppelten Obstler getrunken. Ganz schön sympathisch der Mann – das ist wirklich Religion zum Anfassen.

Die meisten Sportler finden die beiden auch dufte. Und so manch einer schüttet ihnen sein Herz aus. Meistens geht es um Familie, Freundschaft und Beziehung, sagt Schütt.

Was mich sehr verblüfft: Er werde von vielen Sportlern aus den neuen Bundesländern gefragt: „Was ist eigentlich ein Pfarrer?“, erzählt Schütt. Und das „ist gar nicht so leicht zu beantworten“, schmunzelt er.

Als die Bob-Pilotin Kiriasis dann Gold gewinnt, und das ganze Haus in Jubel ausbricht (hier sind überall Flachbildschirme) ist unser Gespräch minutenlang unterbrochen. Denn der Sportpfarrer ist auch ein großer Sportfan. Er springt auf und reckt seinen kurzen Hals, um die Bilder vom Sieg zu sehen und jubelt: „Klasse!“

Was für ein nettes Gespräch nach einem Tag, der mehr dadurch glänzte, dass ich unter Zeitdruck Texte produziert habe.

Doch noch ist der Abend nicht vorbei. Zum ersten Mal gehe ich nach dem Interview und einem schnell reingeschaufelten Essen ins MPC (Main Press Center), um anständig arbeiten zu können. Die WLan-Verbindung dort ist top ? mir kommt das schon vor wie eine schöne, neue Welt. Ich arbeite von 21 Uhr bis 0.15 Uhr an der Olympia News und dann passiert das unglaubliche: Wir stellen einen neuen Rekord auf.

Mein Kollege Ralf hat einen Shuttle organisiert, der mich auf halben Rückweg (15 Minuten läuft man vom Deutschen Haus zum MPC) einsammelt und es geht ab nach Oulx in unsere nette Wohnung. Wir sind schon um 1 Uhr dort ? so früh haben wir es noch nie geschafft! Da gehe ich doch heute Abend wieder gerne ins MPC…

Autor: Grischa Brower-Rabinowitsch.

Alle Ausgaben des Ringe-Reporters gibt es hier.


Kommentare


mk 22. Februar 2006 um 21:18

Nur kurz, wenn einer „Evangele“ ist, muß der andere da nicht „Kathole“ heißen?
Gruß und weiter viel Spaß
mk

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Grischa Brower-Rabinowitsch 22. Februar 2006 um 21:34

Kathole ist das umgangssprachliche, abwertende Wort für Katholik. Evangele ist dagegen das gebräuchliche Wort für einen evangelisch getauften Menschen, „glaube“ ich zu wissen… Und den netten Herrn Schütt wollte ich nun wirklich nicht abwerten.

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Jens 22. Februar 2006 um 23:17

Evangele kenne ich nur in Zusammenhang mit Kathole. Gebräuchlich zu Katholik wäre glaube ich (sicher bin ich mir nicht) Protestant.

Was mich immer wieder an die Geschichte eines katholischen Kaplans erinnert, der von einem kleinen Kind (4-5 Jahre) gefragt wurde, was der Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten sei, da ja beide an den lieben Gott glauben würden. Seine Antwort:

„Weißt Du, mit den Religionen ist das wie auf einer Wiese. Der Gott liebt alle Pflanzen dort. Die Katholiken sind die schönen Wiesenblumen und die Protestanten sind die Brennnesseln. Aber Gott liebt auch diese.“

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Grischa Brower-Rabinowitsch 23. Februar 2006 um 11:30

Die Geschichte ist gut! Kannte ich noch gar nicht.
Ansonsten könnte tatsächlich Protestant das richtige Pendant zu Katholik sein. Irgendwie scheint mir in Turin meine Weisheit abhanden gekommen zu sein 😉

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ReneMT 23. Februar 2006 um 15:59

Gott schütze den Autor!

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