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Es wird der Tag kommen, da die Internet-Nutzer sich frei und unbeschwert fühlen wollen. Dies wird der Moment sein, da Google ein großes Problem bekommt. Vorgestern:

Es gehört zum Kantinengespräch, welches nun die beste Internet-Suchmaschine ist. Excite vielleicht? Oder Hotbot, die ja zum coolen „Wired“-Magazin gehören? Altavista mit seiner riesigen Zahl von Treffern? Yahoo mit dem Web-Katalog? Vielleicht auch Infoseek oder Lycos? Oder Ask Jeeves mit der Möglichkeit, seine Suche als Frage zu formulieren? Einig wird man sich nicht.

Die Suchmaschinen finanzieren sich über bunte Werbebanner, die eine Revolution für die Werbekunden darstellen. Denn sie können nach den Klicks abgerechnet werden, die sie hervorlocken. Ob das Sinn machte, interessiert schon damals keine Sau. Der Mediaplaner wählt immer den leichtesten Weg und der führt durch einen mit Zahlen bemalten Tunnel. Ausbrechen würde nur von den Partys ablenken, zu den ihn die Kunden so gerne laden.

So ist für die Suchmaschinenbetreiber ein Klick das, was für die hippen Startup-Gründer Pizza, Koffein und Koks sind: die Droge, die sie antreibt. Immer mehr wollen sie davon, Klicks, Klicks, Klicks, her damit, her damit, her damit.

Das Internet ist keine billige Angelegenheit. Der Begriff „Flat Rate“ ist ein feuchter Traum der Viel-Surfer, jeder Klick will überlegt sein. Die Suchmaschinen wollen ihre Nutzer deshalb gar nicht mehr weglassen von ihren Seiten. Sie wandeln sich zu Portalen, die jeder frei gestalten darf: Aktienkurse (ganz wichtig!) lassen sich individuell anzeigen (wer Geld hat – und das ist fast jeder dank der Börse – finanziert seinen Kunden Real-Time-Kurse), Nachrichten (unterteilt in Interessengebiete), E-Mail, Spiele, sogar Internet-Fernsehen.

Die Nutzer finden das klasse. Sie spielen herum, pflastern immer neue Inhalte auf ihre persönliche Portal-Startseite, bis das kleine Eingabefenster, in das sie Suchbegriffe tippen könnten, gar nicht mehr zu entdecken ist im Dschungel aus Werbebannern, Eilmeldungen, Kursstürzen und neuen Mails. Sicher, man könnte neu anpassen. Aber wie geht das nochmal?

Da taucht eine neue Suchmaschine auf. Zwei sympathische Technik-Freaks haben sie ersonnen. Bei ihr gibt es keine E-Mail, keine Nachrichten, keine Werbung. Nur Suche. Die liefert zu Beginn gar nicht so tolle Resultate. Doch ohne die voll gepflasterten Portale fühlen die Nutzer ein Gefühl der Leichtigkeit, der Freiheit. Sie verlieben sich in den leicht zu bedienenden Neuling mit der weißen Seite, dem unaufdringlichen Logo und dem lustigen Namen: Google.

Gestern:

Alle suchen über Google, die anderen Suchmaschinen knipsen Stück für Stück ihre Lichter aus oder lassen gerade noch die Notbeleuchtung Richtung Ausgang brennen. Google ist der letzte Internet-Sympathikus nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Weil es auch weiterhin keine Werbebanner gibt. Und weil bei der Suche private Seiten genauso behandelt werden wie Unternehmensangebote, was den aufkommenden Weblogs eine besondere Attraktivität verleiht.

Google geht an die Börse – und widersetzt sich den Regeln der Finanzmärkte. Trotzdem sammelt die Suchmaschine Geld ein, als gebe es keine andere Aktie. Und der Kurs steigt weiter, weil sie alle lieben, jene weiße Seite, auf der so gut gesucht wird, wie nirgends sonst.

Heute:

Beim Marketing-Club Düsseldorf ist im Januar 2006 Holger Meyer zu Gast, Geschäftsführer von Google Deutschland. Er schwärmt von all dem, was sein Arbeitgeber zu bieten hat. Gerade erst wurde eine Filmdatenbank angekündigt, Google-Mail breitet sich langsam aus, Satellitenbilder gibt es, die mit lokaler Sucher verknüpft werden. Er selbst verheddert sich in all den neuen Diensten. Das Tollste aber: Jeder Nutzer kann sich Google jetzt konfigurieren, kann Nachrichten auf die Startseite platzieren, sein E-Mail-Postfach, Börsenkurse, und, und, und. Ein „Brtal“ sei das aber nicht, vermurmelt er das von manchen noch in schlechter Erinnerung herum getragene Wort „Portal“.

An Geld mangelt es Google nicht. Aus dem Außenseiter ist einer der Titanen des Netzes geworden. Und er arrangiert sich mit anderen Riesen. Zum Beispiel der chinesischen Regierung, in dem aufmuckende Web-Seiten nicht mehr angezeigt werden.

Immer mehr Menschen mögen Google immer weniger. Zum Beispiel, weil das Unternehmen mit kritischen Journalisten nicht reden mag. Weil es heimlich Geschäfte mit IT-Konzernen macht. Oder weil es Startups schluckt. Weil das Video-Angebot schwachbrüstig daher kommt. Weil es Verantwortung nur dann übernimmt, wenn es möchte, sich aber einen Lobbyisten hält. Oder weil Google einfach reich ist.

Derweil spielen die Nutzer mit den neuen Möglichkeiten und plakatieren ihre Google-Startseite mit Nachrichten, Börsenkursen und E-Mail-Postfach.

Die Google-Aktie stürzt ab, weil der Gewinnzuwachs nur 82 Prozent beträgt.

Keine Woche vergeht, ohne die Meldung, dass eine neue Suchmaschine den Kampf mit dem Quasi-Monopolisten aufnehmen will. Kein Woche, in der nicht ein Private-Equity-Unternehmen eine neue Suchmaschine finanziert.

Morgen:

Eine neue Suchmaschine, wispern Weblogs und IT-Medien, liefere tolle Ergebnisse. Ganz frei von Werbung, Nachrichten oder E-Mail ist ihre Startseite. Nur zum Suchen geht man dort hin. Alle lieben sie und verlassen ihre zum Dschungel personalisierte Google-Site, auf der sie den Durchblick längst verloren haben. Sie fühlen sich frei und erlöst durch das neue Angebot.

Das ist das Feng Shui des Internet.


Kommentare


Christian 1. Februar 2006 um 12:12

Guter Artikel.

Was ich mich frage: „Sind so viele User gleich und benutzen jedes Feature, das ihnen angeboten wird?“.
Immerhin muss man seine Suchsite nicht personalisieren. Sie kann ganz einfach frei von Werbung und all dem anderen Kram bleiben. Nur weil es eine Personalisierungsfunktion gibt, muss man diese als User doch nicht wahrnehmen. Oder liegt es in der (internetschen) Natur des Menschen, alle neuen Dienste bis zum Anschlag auszureizen und dann fallen zu lassen?

Dem Artikel nach käme dieses Benutzerverhalten einer Krankheit gleich. „Feature-Bulimie“, alles benutzen bis zum Erbrechen. Wenn man „geheilt“ ist, auf einen anderen Dienst umschwenken und wieder alles ausreizen bis zum Erbrechen.

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bittersweet choc 1. Februar 2006 um 12:41

erstaunlich ist, dass die nutzer google immer noch so viel verzeihen. schon im frühjahr 2002 ist google bei scientology eingeknickt und hat auf deren erpressen links von scientology-gegnern wie z.b. xenu.net aus den ergebnissen gefiltert. heute hat china den daumen auf google drauf und keiner regt sich wirklich auf. selbst ich habe noch einen gmail-account.

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Arthur Dent 1. Februar 2006 um 15:52

@bittersweet: Man soll aber auch nicht zu nachtragend sein: xenu.net erscheint heute bei Google-Suche (.com, en) nach Scientology auf Platz 2.

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Maternus 1. Februar 2006 um 16:34

Naja, aber es ist doch auch jetzt keiner gezwungen, sich seine Google-Startseite zu „personalisieren“ oder sonstwie aufzuhübschen. Ohne Reklame, Nachrichten und allem anderem Chichi…

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tknuewer 1. Februar 2006 um 16:48

Nein, gezwungen ist niemand. Aber jeder probiert dies aus, probiert das aus – und ist es irgendwann leid, das alles wieder rückgängig zu machen. Fast jeder hat zum Beispiel Unmengen Software auf seinem Rechner, die den PC langsamer macht. Aber das alles deinstallieren? Nein, zu aufwändig, zu schwierig…

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simoench 1. Februar 2006 um 18:30

Oder die Präsentationen (Powerpoint u.ä.) von Leuten, die gerade die Spezialeffekte entdeckt haben. Exotische Schriftarten mit Füllmuster auf buntem Hintergrund: Völlig unbrauchbar, aber in einer Gastvorlesung so gesehen. Anstatt die ordentlich zu machen könnte man auch gleich neu schreiben.
Die Abhilfe gegen überpersonalisierte, überladene und generell wirre Oberflächen ist nur „kleine Schritte“ zu machen, aber so als Spielkind ist das nicht immer einfach. 🙂 Und dann ist da noch der Drang, alles optimal zu gestalten.

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Meckermeister 2. Februar 2006 um 10:10

@tknuewer: „Aber jeder probiert dies aus, probiert das aus – und ist es irgendwann leid, das alles wieder rückgängig zu machen.“ – Hört sich sehr danach an, dass Sie Ihre eigenen Erfahrungen oder die Ihres Umfeldes verallgemeinern. Machte ich das auch, schriebe ich hier: „Stimmt doch gar nicht, die Möglichkeiten zur Personalisierung benutzt doch kein Mensch“ Oder gibt es eine belastbare Studie, die Ihre Angaben untermauert? 😉

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bepixeld.de 2. Februar 2006 um 12:23

Die Suchmaschine Google dürfte mittlerweile ja fast jedem ein Begriff sein. Ist das gut? Thomas Knüwer vom Handelsblatt hat sich in seinem Weblog da so seine Gedanken gemacht und eine interessante…

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Wirtschaftsgitarrist 2. Februar 2006 um 14:16

Berge will ich, Berge! Gut kann ich mich noch an das Szenario ?vorgestern? erinnern. Es gab eine verwirrende Vielfalt an Suchmaschinen. Doch plötzlich hatte die Verwirrung ein Ende, weil ein Gerücht wie rasend um sich griff: Irgendeine Uni habe einen ?engine? entwickelt, mit der die Suche sooooo viel besser und schneller und überhaupt genauer sei als bisher. Und dieser ?engine? stand auf Altavista. Also musste man auf Altavista suchen, um hip zu sein. Wie überhaupt ein Auto ja auch nur funktionieren kann, wenn ein kräftiger ?engine? eingebaut ist.

Das Allerschönste an Altavista aber war das Bergpanorama oben auf der Homepage. Es hätte in Deutschland auch eine Schokoladenverpackung zieren können, ob Alpen oder Rocky Mountains, egal. Das war cool. Erst als ein übereifriger Designer das Layout ?optimierte? und die Berge seiner Rationalisierung zum Opfer fielen, da war es auch schon mit der besten Zeit von Altavista vorbei. Seitdem sind andere Suchmaschinen hip. Merke: Marketing mit Bergen sollte man niemals rückgängig machen.

Viele Grüsse aus den Bergen?

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blog.argwohnheim 18. Februar 2006 um 15:30

Noch heiÃ?t es in der Allgemeinheit: “Google=Internet”, und ich glaube das ist von keinem bestreitbar. Was Google nicht findet, existiert für einen GroÃ?teil der User nicht. Man schaue sich einfach nur die Statistiken an….
Eigentlic…

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