Ja, man kann es nur mit Roland Kaiser singen: „Ich glaub es geht schon wieder los…“ Wenn nämlich der Analyst eines renommierten Investmenthauses allen Ernstes Google einen Aktienkurs von 500 Dollar prophezeit, dann ist sie wieder los, die alles nieder galoppierende Hype-Stampede. Es gibt eine Frage, die uns alle in der einen oder anderen Form bewegt: Wie dumm können Menschen eigentlich sein?
Eine schlüssige Analyse habe ich noch nicht gefunden, deshalb bleibt es bei der schlichten Antwort: Verdammt dumm.
Zum Beispiel, wenn es um Internet-Aktien geht. „Was einmal hoch ging, muss doch noch mal hochgehen“, haben offensichtlich viele im Kopf. Oder ihr Gedächtnis weist im Bereich der Jahre 99 bis 02 ein schwarzes Loch aus, bedingt durch Euphorie-Koks oder Frustsaufen, „Sieben Fässer Wein können uns nicht gefährlich sein“ – auch von Roland Kaiser.
Anders ist nicht erklärbar, dass der Google-Aktienkurs die 400-Dollar-Marke überschritten hat. Dass hier ein Unternehmen agiert, dass sich einen Dreck um Investor Relations oder Offenheit schert – egal. Jeder nutzt Google, muss also gut sein. Und was gut ist, wächst. Und was wächst bringt Geld. Punkt. Schluss. Aus.
Selbst die großen der Investmentszene schalten das Hirn aus. Oder haben mittlerweile so junge Analysten, dass die einfach nicht mehr wissen, was damals diese Internet-Bubble wohl gewesen ist.
Nur so lässt sich erklären, dass Benjamin Schachter, ein Analyst der UBS, allen Ernstes so zitiert wird:
„Google Inc.’s shares will rise 25 percent in the next 12 months according to UBS AG’s Benjamin
Schachter, the first analyst to predict the stock will reach 500.
Shares of Google, the most-used Internet search engine, have more than quadrupled to 409.36 since they were first sold to the public in August 2004. Schachter lifted his projection from 430, saying Internet advertising and new features will push Google’s revenue higher.
„Based on Google’s current products and trends, the stock remains undervalued“, the New York-based analyst wrote today in a note to clients. The company „can continue to grow revenue
significantly at least for the near-to-mid term.“
„Manchmal möchte ich schon mit Dir, eine Nacht das Wort Begehren buchstabieren“, sang Roland Kaiser noch. Heute lässt sich das Wort „Begehren“ ganz einfach buchstabieren:
G O O G L E
Und die, die das tun, werden irgendwann so enden wie Roland Kaiser: Auf kleinen Bühnen vor betagten Unentwegten singend – oder kaum beachtet privat bloggend.
Nachtrag: Selbst der einst so internetbegeisterte Henry Blodget ist skeptisch bei Google. Auszug:
„The bottom line: Relative to its cash flow and growth rate, Google’s market value is still far from insane: If the rapid growth continues (and the stock stops skyrocketing), in a couple of years, the multiple could be quite reasonable. On the other hand, the chances that the company will continue its rocketship trajectory for the next couple of years without any sort of stumble are, in my opinion, small. Furthermore, although the company has blown away top-line estimates in the last two quarters, it has not exceeded (my) expectations for free cash flow. On the contrary, the free cash flow estimates have decreased, which suggests, to me, anyway, that the company is less likely than it once was to blow away numbers on the high side.
All of which means that, although I obviously wish I’d gotten aboard this rocket ride a few hundred dollars ago, I’m now happy watching from the ground.“
Kommentare
Diskretion 22. November 2005 um 23:07
„Jeder nutzt Google, muss also gut sein.“ — Jo, genau so sieht’s aus. Das ist auch der entscheidende Unterschied zu Metabox und Konsorten. Die AdWords-Umsätze sind nicht erfunden.
„Benjamin Schachter, the first analyst to predict the stock will reach 500.“ — Er wird Recht behalten, ob man das nun begrüßt oder nicht.
Olaf Kortlüke 23. November 2005 um 20:03
Als nach den letzten Quartalszahlen vor einem Monat der Aktienkurs von Google bei ca. $340 lag und die ersten Analysten Kursziele von $370 bis $400 veröffentlichten, haben auch alle gedacht, dass die nicht ganz richtig ticken können. Schon beim IPO konnte niemand fassen, dass der Kurs wirklich über $100 steigt, viele wollten gleich zum ersten Kurs Aktien leerverkaufen, und viele haben das vermutlich auch getan.
Momentan hat Google einen Börsenwert, der ca. 90mal so hoch ist, wie der Jahresgewinn. Das ist natürlich recht ambitioniert, aber Umsatz und Gewinn von Google wachsen auch mit fantastischen Raten. Ganz im Gegensatz zu einer Infineon, die auch mit dem 85fachen des erwarteten Gewinns 2006 bewertet wird. Mag sein, dass die Bewertung jetzt schon zu hoch ist, aber der Kurs rennt von einem neuen Allzeithoch zum nächsten (aktuell $424).
Unter diesem Aspekt sind Kurse um $500 gar nicht so unwahrscheinlich. Jedenfalls wahrscheinlicher als Kurse von 10 EUR bei Infineon, die heute bei 7,80 EUR notieren. Ansonsten ist es an der Börse wie wirklichen Leben: Den letzten beißen die Hunde.