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Es gibt Menschen, die „süüüß“ juchzen bei jedem felligen Vierbeiner, die sich nicht mehr einkriegen bei allem, was optisch einem Kleinkind nahe kommt. Und es gibt die, bei denen der Sinn für solche Dinge verdorrt ist. Letztere werden Fußballfunktionäre. Und beauftragen die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt mit einem WM-entscheidenden Auftrag. Schminke hilft nicht mehr. Tief haben sich die Augenringe in das Gesicht von Junior Consultant Tanja-Anja gefressen. Senior Consultant Sabine sieht nicht besser aus.
„Es ist die Rache des Schicksals“, murmelt Tanja-Anja in der Kaffeeküche zu ihrer Lieblingskollegin, „Wir hätten es nicht übertreiben dürfen. Jetzt ist Marcel weg und wir haben diesen Mist am Hals.“
Ganz sanft pustet Sabine ihren Fair-Trade-Kaffee kühler. „Ja, ja, ja, Du hast ja Recht. Und weil Lars in Urlaub ist, hat echt überhaupt keiner Ahnung von Fußball. Aber das biegen wir schon hin.“

Fußball ist seit Tagen das große Thema in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Am 22. nämlich rief der Chef an. Aus St. Moritz. Vom Skifahren. „Beckenbauer getroffen. Toller Typ. Miersbach ist auch hier. Brauchen Maskottchen für die Nationalmannschaft. Sollen wir jetzt machen. Sofort ran!“

Dumm nur, dass Managing Partner Marcel die mehrtägige Zufuhr dieser Pilze aus Holland nicht so gut überstanden hat: Er liegt fiebrig im Bett, der Arzt hat ihm jedwedes Aufstehen untersagt. Spätestens als er dem Bankkunden mit Serviceproblemen empfahl, die Uhren aus den Schalterhallen zu entfernen, damit die Kunden nicht mehr merkten, wie lange sie warteten, war klar, dass ein Pause dringend geboten war. Und Entziehungskur von den Pilzen.

Senior Consultant, der andere große Fußball-Fan im Team, Lars ist abgereist zu seinen Eltern nach Sachsen-Anhalt – und eingeschneit. Noch nicht mal Internet-Zugang hat er dort.

So muss es die Frauen-Power der kleinen PR-Agentur rausreißen. In nächtelangen Kreativ-Sessions mit Svenja, der freien Grafikerin, mit der die kleine PR-Agentur häufig zusammenarbeitet, wurden mehrere Maskottchen-Entwürfe aus dem Boden gestampft. Noch an Heiligabend flog Sabine zu Praktikantin Julia nach Berlin. Die hatte dort Mit-Studenten zu Fokus-Gruppen arrangiert um die von Polias nähbegabter Schwester Rumena persönlich zusammengebastelten Stoffpuppen einem Prescreening zu unterziehen.

Ergebnis, nicht ganz unerwartet: Ein stolzer Adler mit breiter Brust hat das Rennen gemacht. Nun fehlt noch ein Name. Bei Weißem Tee (Tanja-Anja), fair gehandeltem und organisch angebautem Kaffee (Sabine), Wasser (Senior Consultant Alexandra), Cola Light (Julia) und Hibiskusblütentee (Polia und Svenja) wird gebrainstormt.

Sabine: Wie heißt denn so ein Fußball normalerweise?

Julia: Manni, glaub ich.

Alexandra: Ja, aber da kriegen wir Copyright-Probleme. Wegen „Manni, der Libero“.

Polia: Chalsoo, junger Sohn von Chrumena cheißt Paaaul. Chund schpielt Fußball.

Alexandra: Paul? Da gabs doch auch mal diesen Mao-Fetischisten. Breitkopf, oder wie der hieß.

Tanja-Anja: Aber Paul ist so unniedlich. Vielleicht Paule?

Alexandra zu Julia: Schreib das auf.
Julia schreibt.

Alexandra: Weiter. Der Bundestrainer heißt Jürgen Klinsmann. Und den mögen alle, nur die „Bild“ nicht. Uli Hoeneß wohl auch nicht, schreibt die „Gala“. Aber die Fans. Jürgen?

Sabine: Neee, das ist doch nicht niedlich. Jürgi?

Alexandra: So klingen Großbottich-Säufer auf dem Ballermann, aber doch kein Adler. Klinsi?
Tanja-Anja: Aber wenn die verlieren im Sommer? Dann können wir das ganze einstampfen.

Alexandra: Muss ich Dir zustimmen. Ausnahmsweise. Schließlich will der Chef über eine Tochtergesellschaft sich die Produktionsrechte sichern. Da muss das Ding über Jahre fliegen.

Svenja: Also, mein Freund ist ja Fan von Preußen Münster. Und die suchen einen Stürmer. Das soll ein Knipser sein, sagt er immer. Vielleicht weil er auch Eintrittskarten abreißen soll, oder so. Wie wärs denn mit Knipsi?

Beifälliges Nicken der Rund.

Alexandra zu Julia: Schreib das auf. Weiter.

Schweigen.

Tanja-Anja: Mein Opa hieß Horst. Und der hat immer Fußball gespielt.

Schweigen.

Alexandra (entnervt) zu Julia: Schreib das auf. Weiter. Hat noch jemand fußballspielende Sippschaft?

Julia: Ich hatte mal nen Kanarienvogel, der hieß Butzi.

Alexandra: Hat der Fußball gespielt?

Julia: Nein. Nur gezwitschert.

Polia: Ichch will auch was zwitschörn. Wann machen wir endlich Weihnachtsfeier?

Die nämlich war wegen des wichtigen Kunden verschoben worden auf heute Abend. Wichteln inklusive.

Alexandra: Ach, was solls. Butzi. Schreib das auf! Fertig! Tanja-Anja, mach mal ein Paket an den DFB fertig mit dem Maskottchen-Dummy und einem Brief mit den Namensvorschlägen. Und wir machen schon mal ein Fläschchen Witwen auf.

Veuve Clicquout nämlich ist der bevorzugte Champagner in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Wie es sich in dieser Fest-Saison gehört natürlich rosé.

Tanja-Anja schnappt sich den Karton mit den Maskottchen-Figuren und legt Butzi-Horst-Knipsi-Paule oben drauf. Dann jongliert sie zu ihrem Platz am Fenster. Das öffnet Sabine gerade, um durchzulüften.

Die nächste halbe Sekunde scheint wie in Zeitlupe zu laufen. Sabines wehende Haare, als sie sich umdreht. Der leichte Druck auf Tanja-Anjas Brust, als sie mit ihrer Kollegin zusammenprallt. Der Karton mit dem stolzen Adler und all seinen abgelehnten Gefährten, wie er sich aus ihren Händen löst und in Richtung des Fensters entschwebt. Im Hintergrund die eleganten Klänge von „Also sprach Zarathustra“ als Aufwärmmusik für die Feier. Die Kälte des Fensterrahmens, an den sich die Hände krallen, um Fast-Butzi auf seinem Flug nach unten zu verfolgen. Der 30-Tonner mit dem Schenker-Logo. Das Aufquellen der einen Adlerseite, als der rechte Vorderreifen sie aufreißt. Das Futter des verendenden Maskottchens, als es sich mit dem leichten Schneefall zu einer tuffigen Melange aus Chemie und gefrorenem Wasser vermengt.

Ganz, ganz langsam drehen sich die beiden Consultants um in Richtung Großraumbüro. Doch niemand der anderen scheint etwas bemerkt zu haben, alle sind mit dem Öffnen von Flaschen (Alexandra) und dem Abfüllen selbstgebackener Jutekekse (Polia) in Schalen beschäftigt.

Tonlos formt Tanja-Anjas Schmollmund die Frage „Was jetzt?“

Sabine gestikuliert in Richtung ihres Schreibtischs. Aus dem Rollcontainer holt sie einen unförmigen Stoffraben hervor, ein Billigimitat der Kinderbuchserie „Der Rabe Socke„.

„Pack das ein. War eigentlich fürs Wichteln gedacht. Hat mein Ex mal auf ner Kirmes geschossen“, flüstert Sabine leise. „Beim DFB merkt das keine Sau, denen ist doch egal, wie das Teil aussieht. Und wenn die nichts sagen, geht die Produktion los, bevor hier einer was registriert. Und selbst wenn: Unseren Job wären wir doch so oder so los.“

Tanja-Anja wird noch blasser. Ein die Kehle hinab wandernder Hügel zeugt davon, wie heftig sie schlucken muss im Angesicht der Gefahr. Dann packt sie den von blutigen, ausgebeuteten, bangladeschigen Kinderhänden zusammengefrickelten Vogel in das Paket.

Und so präsentiert schon kurze Zeit später der DFB stolz das neue Nationalmannschaftsmaskottchen, über dessen Namen nun alle abstimmen dürfen. Die Fußball-Nation kann kaum an sich halten angesichts der Vorfreude auf Paule, Butzi, Horst oder Knipsi.

Berlin (ots) – Ob Butzi, Horst, Knipsi oder Paule – wie der endgültige Name des neuen DFB-Maskottchens lauten wird, das liegt in den Händen der SPORT BILD-Leser. Der DFB hat eine Vorauswahl
getroffen und stellt vier Namen zur Wahl. Die SPORT BILD-Leser entscheiden per SMS oder Internet. Das Maskottchen ist erstmals am Mittwoch, 21. Dezember 2005, in Europas größter Sportzeitschrift zu sehen und wird am 22. März 2006 im Rahmen des Länderspiels in Dortmund gegen die USA vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell
vorgestellt. Anders als das WM-2006-Maskottchen ?Goleo? wird es
langfristig als Kommunikationsfigur auch nach der
Fußball-Weltmeisterschaft eingesetzt, also für alle Länderspiele der Frauen-, Männer- und Jugend-Nationalmannschaften.

(Gefunden beim Popkulturjunkie)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas


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