Wie in jedem Dezember ist es Zeit für meine Prognosen für das kommende Jahr. Und um es vorwegzunehmen: 2018 wird ein Jahr, in dem Freundes des Analogen glauben, dass sie die Wende geschafft haben und das böse Digitale doch noch besiegen. Facebook wird kämpfen müssen, Videos, Bots und Bitcoin werden kein schönes Jahr haben, selbst Klassikmedien schnüffeln Hoffnung. Allein: Es ist nur eine Erholungspause, bevor es schneller Richtung Digitalisierung gehen wird.
Doch wie in jeder Ausgabe der glaskugeligen Kaffeesatzlesereien (inzwischen die neunte), erst einmal der Blick zurück: Wie gut waren meine Prognosen denn für dieses Jahr (die vollständige Version können Sie hier nachlesen)?
Im Dezember 2016 prognostizierte ich dies:
„Ein düsteres Jahr für das Internet“
„#Neuland wird #Dunkelland stand über den glaskugeligen Kaffeesatzlesereien und spiegelte meine Befürchtung wider, dass wir eine neue Ära der Überwachung, Zensur und Kontrolle des Internets erleben würden.
Tatsächlich war es kein schönes Jahr für die Befürworter des freien Internets. Die Bundesregierung hat in Gestalt von Heiko Maas ihre ganze Technophobie und Digitalinkompetenz in das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegossen. Da konnten die Experten in der Bundestagsanhörung noch so sehr von verfassungsrechtlichen Problemen sprechen und der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit von einer Gefährdung derselben sprechen: Analogtrottel wie Maas in ihrem Lauf halten weder Merkel noch Gabriel auf – denn letztere begreifen gar nicht, was da angerichtet wird.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière setzte dagegen weiter seinen Plan zur Totalüberwachung nach SED-Modell um. Und auch hier springt ihm Sigmar Gabriel bei, der in seinem jüngsten „Spiegel“-Essay behauptete, die SPD habe in der vergangenen Legislaturperiode zu sehr auf Datenschutz und zu wenig auf innere Sicherheit gesetzt. Das ist nicht nur falsch, sondern demonstriert auch, dass die Rechten längst gewonnen haben: Sie haben sogar ein Sozen-Schwergewicht wie Gabriel für sich gewonnen.
Auf europäischer Ebene dagegen, werden Debatten rund um Facebook und Google längst nicht mehr neutral geführt. Man hat öffentlichkeitswirksame Prügelknaben gefunden und betreibt Industriepolitik mit der Mentalität des Kalten Krieges.
Und dass trotz aller Bedeutung des Silicon Valley für die amerikanische Wirtschaft die Tech-Branche unter Donald Trump auch nicht ungeschoren davonkommen würde, war auch absehbar. Mit der Beerdigung der Netzneutralität hat Trump aber möglicherweise europäischen Startups einen Dienst im Heimatmarkt erwiesen. Also in den Ländern, in denen die Politik die Bedeutung der Gleichheit der Daten erkannt hat. Was bedeutet: nicht in Deutschland.
„Das letzte nicht ganz so schlimme Jahr für Tageszeitungen“
Nein, da gibt es keinen Punkt für mich. Das Jahr 2017 war für Deutschlands Zeitungen ein ganz normales Jahr des Absturzes:
Meine Fehlprognose basierte vor allem auf einer Annahme: Dass die Bundestagswahl auch zu einem Wahlkampf führen würde. Ja, so kann man sich irren. Und weil die Vorwahlzeit derart langweilig war, hatten die großen Redaktionen der Republik eben wenig zu berichten. Im Gegensatz zu ihren US-Gegenstücken verzeichneten sie deshalb kein steigendes Bedürfnis nach Journalismus.
„Big Data macht ernst“
Wieder kein Punkt für mich. Vielmehr erlebte Big Data als Begrifflichkeit ein Tal. Alle redeten 2016 darüber und fragten sich 2017: Und nun? Es tat sich wenig und der Begriff trat fast in den Hintergrund.
„Marken müssen Stellung beziehen“
Eine ganze Reihe von Marken verließ die Wohlfühl-Kommunikation und machte sich mit einer Sache gemein oder riskierte Abwehrhaltung von Kunden. Zum Beispiel die US-Pizzaketten Papa John’s und Pizza Hut in der Debatte um die bei der Hymne knienden Footballer.Oder Reebok vs. Donald Trump.
In Deutschland ist manches zahmer in diesem Feld. So war ich überrascht, dass wir bei kpunktnull mit der Kommunikation für unseren Kunden Nordbrand Pfeffi zu den wenigen gehörten, die den Wahlkampf in Deutschland im Social Web aufgriffen:
Wenigstens ergingen sich Lidl und Edeka Mut in ihrer ganzjährigen Social-Media-Käbbelei:
„Influencer Marketing erreicht ein Hype-Tal“
Wie bin ich denn auf dieses schmale Brett gekommen? Selbst die offensichtliche Fälschung von Reichweiten und die Häme im Social Web ob hirnbefreiter Influencer-Kampagnen wie der von Corall hat Marken nicht daran gehindert, das Feld des Influencer Marketing zu hinterfragen.
„Der Digital-Wahlkampf wird von der AFD dominiert“
Hm. Halber Punkt würde ich sagen. Denn tatsächlich nötigte die AFD den klassischen Medien ihre Themen über das Social Web auf. Allerdings fand bei den Wählern selbst eine starke Filterblasenbildung statt: Die Rechten waren stärker unter sich als die Wähler anderer Parteien, möchte ich behaupten. Im Gegenzug punktete die FDP digital stark.
„Wir werden über Roboter und Grundkeinkommen diskutieren“
Das ist definitiv passiert. Wurde die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens 2016 noch als absurd abgetan, nannte Deutschland Lieblingsphilosoph Richard David Precht sie ein Jahr später praktisch alternativlos. Ausgelöst wurde diese Debatte durch die Erkenntnis, dass die Roboterisierung der Wirtschaft kein Science Fiction sondern vor der Tür stehende Realität ist.
„Ein wichtiges Jahr für die Zukunft des Journalismus“
Vor einem Jahr schrieb ich: „Dank Wahljahr und Terrorgefahr bietet sich den Redaktionen der klassischen Medien 2017 eine einmalige Chance: Sie können ihr Image dauerhaft in den Orkus schießen.“
Ich möchte behaupten: Das ist ihnen dann auch ziemlich gut gelungen. Selbst Menschen, die sich politisch Welten entfernt von „Lügenpresse“-Brüllern bewegen, haben eine veritable Abneigungen gegen viele der klassischen Medien entwickelt, weil sie die Schnauze voll haben von Halbwahrheiten, Reportierfehlern oder voreingenommer Berichterstattung.
„Der Abschied vom Adserver mit Targeting beginnt“
Ich behaupte: Hier hatte ich recht – aber das kann man auch anders sehen. Doch gibt es ein gehöriges Rumoren in der Onlinewerbung: Werbekunden haben angefangen, ihre Mediaagenturen zu hinterfragen, was in den USA sogar zu Prozessen geführt hat, die Verbraucher begeistern sich in massivem Umfang für Adblocker und die Werbepreise sinken. Wir befinden uns in einem disruptieren Prozess für die Werbebranche. Unten dann mehr dazu.
Und dann war da noch:
„Wir werden uns am Ende des Jahres 2017 noch mehr das Jahresende herbeiwünschen, als 2016“
Das stimmte nicht – leider. Denn es ist ja nicht so, dass mancher Wahnsinn, der 2016 seinen Anfang nahm, 2017 abgenommen hätte. Das Traurige ist nur: Wir haben uns daran gewöhnt.
Fazit: 5 von 9 möglichen Punkten – ganz OK, mehr aber auch nicht.
Egal, neues Jahr, neue Prognosen…
Hier sind die glaskugeligen Kaffeesatzlesereien für 2018:
Das Ende der Video-Lemminge
Der Hype um Videoformate ist für mich weiter eines der großen Rätsel des Internets – sowohl im Medien- wie im Marketingbereich. Natürlich sind Videoformate erfolgreich, Youtube und Netflix sind Mediengiganten.
Doch selbst ansonsten kritische Entscheider laufen wie eine Herde bekokster Lemminge dem Glauben hinterher, dass ihnen Bewegtbilder die Rettung bringen, entweder als Zaubertrank gegen die Einnahmenverluste des digitalen Medienwandels oder aber als leicht zu verstehender Kanal um Konsumenten zu erreichen.
Sowohl Marketing als auch Medien übersehen dabei eine Großigkeit: Videoformate zu erstellen ist schwer, hart und teuer, gute Videoformate zu produzieren ist sauschwer, eberhart (sorry für das Wortspiel) und schweineteuer.
Marketing-Videos: vorgetäuschte Erfolge
Auch bei kpunktnull begegnen uns immer wieder Klientenwünsche nach „Virals“. Sie beinhalten den Glauben, dass man doch nur ein ansatzweise professionell gedrehtes Video („nicht zu edgy“, natürlich) ins Netz stellen muss und die versammelten Markenfans wären voll der Liebe und Begeisterung. Befeuert wird dieser Irrglauben durch klassische Großagenturen, die liebend gerne Videos produzieren – hier sind noch immer wunderbare Margen zu erwirtschaften. Wir müssen dann leider immer die schnöde Realität in den Raum rufen: Ohne massive Mediainvestments geht überhaupt nichts „viral“.
Diese Situation hat sich verschärft dank der Videooffensive von Facebook. Leider hat sich das Netzwerk angewöhnt, Kunden etwas zu raten, was zwar im Interesse von Facebook liegt – faktisch aber nicht funktioniert (weiter unten mehr).
Dazu gehört auch das Thema Videos. Die allermeisten Markenvideos erreichen nur mit erheblichen Mediaschaltungen Reichweite. Deshalb auch werfen sich so viele Marken in die Arme von Videoproduzenten, die Garantiereichweiten versprechen, diese jedoch zu einem erheblichen Teil mit Nutzern erzielen, die für jene Marke nicht relevant sind. Das heißt nicht, dass solche Modelle sinnlos sind – man muss sich dessen nur bewusst sein.
2018 werden Markenverantwortliche weniger billige Videos produzieren – und ihre Ressourcen stärker auf wenige Vorzeigeprojekte beschränken.
Medien-Videos: schlechtes Fernsehen
Schlechtes Fernsehen wird nicht dadurch besser, dass es im Internet stattfindet. Diesen Satz möchte man so vielen Medienhäusern entgegenseufzen. Viel zu viele Journalisten glauben, dass die schlichte Tatsache, DASS sie ein Video produzieren können, Grund genug dafür ist, dies auch zu tun.
Da sprechen dann schlecht ausgeleuchtete und natürlich ungeschminkte Menschen stotterige Sätze mit (im besseren Fall) mittelmäßigem Sound in die Kamera. Ein Beispiel für den Unfug Video ist sogar Heribert Prantl: Er videokommentiert krampfhaft hinter einem Tisch sitzend (wenigstens gut ausgeleuchtet) das Tagesgeschehen. Doch warum sollte ich mir das ansehen? Es wäre viel sinnvoller und für den Adressaten leichter zu konsumieren, seine klugen Sätze in Textform zu veröffentlichen.
Nun gilt auch in Medienhäusern, dass Videos teuer sind. Ein Autor muss einfach Texte tippen, ein Video braucht zumindest einen, der die Kamera einschaltet, vielleicht noch einen Cutter, definitiv aber eine Person, die das ganze hochlädt.
Dass dieser Aufwand trotz höherer Werbepreise bei Videos nicht wirtschaftlich ist, merken bereits Medienangebote in den USA. Was war nicht für ein Gewese um das „Pivot to Video“ von neuen News-Seiten wie Buzzfeed oder Mic. Nun stellt sich am Jahresende heraus, dass diese Fokussierung auf Video ein Fehler war. So schreibt Splinter über Mic:
„Such tension was perhaps inevitable after the social justice-oriented news outlet unveiled its new plan in August, becoming the latest publisher to pursue video as means for survival. Interviews with eight current and former staffers, all of whom spoke on the condition of anonymity for fear of professional repercussions, suggest the newsroom was ill-prepared to execute the proverbial pivot…
As another staffer summed it up bluntly to Splinter last week:“I truly don’t know what we are supposed to be doing.”…
Venture-backed startups like Vice, BuzzFeed, Vox, and others have increasingly thrown money into video production in the hope of capturing ad revenue on Facebook and capitalizing on the disruption of the traditional TV business. Neither has yet to materialize to an extent that can sustain expensive accountability journalism.“
Im Jahr 2018 wird der Videowahn enden – vor allem aus Kostengründen. Denn die erhoffte Refinanzierung wird sich nicht einstellen. Auch zeigt sich in den USA schon ein Trend zurück zu textbasierten Angeboten.
Die große Bot-Enttäuschung
Es war eines der heißesten Themen auf der Digitalkonferenz SXSW im März: Bots in Kombination mit Künstlicher Intelligenz. Auch in Deutschland haben sich etliche Marken in diesem Jahr dem Thema gewidmet, von den Sparkassen über Jägermeister bis Maggi, und das vor allem in Gestalt von Facebook-Bots.
Ich glaube, das Thema wird 2018 durch eine gehörige Senke gehen. Wir werden wenig Bot-Projekte von Marken sehen, andere werden ganz heimlich eingestellt werden. Denn was viele Entscheider übersehen, sind die Details. Startet eine Marke einen Facebook-Bot, wird zum Beispiel der Kommunikationskanal Messenger blockiert: Kunden können dann nicht mehr Beschwerden vortragen oder nicht vorhergesehene Anfragen stellen. Natürlich könnten sie noch unter Postings kommentieren, doch die haben mit dem Thema nichts zu tun – und dieses Off-Topic-Gehen mögen viele Menschen nicht.
Noch dazu sind viele der Bots eben nicht mit Künstlicher Intelligenz versehen. Und somit werden Verbraucher Konversationen erleben, die sie enttäuschen oder gar wütend machen. So langsam wird 2018 die Erkenntnis einsickern, dass diese Negativerlebnisse Auswirkungen auf das Markenbild haben.
Bitcoin fällt, Blockchain steigt auf
Vieles, was derzeit rund um die Kryptowährung Bitcoin passiert, erinnert mich den Neuen Markt. Auch hier glaubten viele, die Gesetze der Wirtschaft würden neu geschrieben, jeder Kritiker wurde abgetan, Kursstürze wurden zu Kaufgelegenheiten verklärt. Und genau wie beim Neuen Markt ist Bitcoin nicht komplett substanzlos. Doch genauso, wie es sehr leicht war, gewisse Werte des Neuen Marktes zu manipulieren, so können jene Großinvestoren, die „Bitcoin Whales“, auch hier manipulieren. Wer sein Geld trotzdem reinsteckt, der zockt. Das darf natürlich jeder, er sollte sich nur bewusst sein, dass einige der Mitspieler mit gezinkten Karten pokern.
Ich glaube: 2018 wird es zum bisher größten Bitcoin-Kursverfall kommen. Denn letztlich ticken wir Menschen immer gleich. Und je höher der Kurs steigt, desto größer die Zahl der Verkaufswilligen. Die brauchen im Bitcoin-System Käufer. Doch was, wenn sie keine finden? Und gleichzeitig noch Wallets und Exchanges unter der hohen Zahl von Anfragen technisch zittern (auch das hatten wir dieses Jahr schon)? Am Ende steht eine Marktpanik, die jedem rational denkenden Menschen klarmachen wird, dass Bitcoin ein spannendes Experiment ist – aber keine brauchbare Geldanlage.
Mit der hinter Bitcoin stehenden Technologie Blockchain sieht es anders aus. Wir werden 2018 spannende Innovationen sehen, die auf Blockchain basieren. Ein bereits bestehendes Beispiel ist die Verwendung im Rahmen des Ernährungsprogramms der Vereinten Nationen.
Deutsche Telekom kauft Sky Deutschland
Die Deutsche Telekom versucht sich aggressiv zum Contentanbieter umzugestalten, dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Bereich Sport. Deshalb wäre ein Zusammenschluss mit Sky nur logisch. Und Sky könnte froh sein, den Dauerpatienten Deutschland loszuwerden.
Werbebranche im Aufruhr
In diesem Jahr habe ich so viel TV gesehen, wie seit Jahren nicht mehr. Ich habe so viel Audio-Formate gehört, wie nie zuvor in meinem Leben. Und ich habe sehr, sehr viele Texte gelesen. Und trotz dieses gestiegenen Medienkonsums habe ich noch nie zuvor in meinem Leben so wenig Werbung gesehen.
Warum? Wegen Amazon Prime, Netflix, Dazn, Podcasts und Adblockern.
Im sehr lesenswerten Buch „The End of Advertising“ schreibt Ex-Werber und Ex-Journalist Andrew Essex sehr schön, dass Verbraucher Werbung hassen und dass dies nicht neu sei. Sie hätten Werbung schon immer gehasst, doch die werbetreibende Industrie hätte die fehlende Möglichkeit, Werbung abzustellen, als implizite Zuneigung zu Spots und Anzeigen fehlinterpretiert.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von ws-eu.amazon-adsystem.com zu laden.
Für die Werbung wird 2018 ein Jahr, wie sie es selten zuvor erlebt haben wird. Es wird die rasante Beschleunigung einer bisher sublimen Entwicklung bringen, an deren Ende nach etlichen Jahren die Disruption der Werbe- und Agenturlandschaft steht.
Hitzige Debatten
Wie nie zuvor wird die Werbebranche sich 2018 mit sich selbst beschäftigen. Egal ob „Horizont“ oder „w&v“: Die Seiten werden gefüllt werden mit Grundsatzdebatten über Agenturstrukturen, Abrechnungsmodelle und KPI-Strategien.
Massiver Stellenabbau
Eine Reihe von Großagenturen wird massiv Stellen abbauen. Einerseits wird die branchenübliche Reaktion auf Etatverluste der Auslöser sein, andererseits aber radikale Neuordnungen der Unternehmensstrukturen mit einem erhöhten Einsatz von Freelancern – denn von denen kann man sich flexibler wieder trennen.
Fusionen über Marktgrenzen hinweg
Die Übernahme von Sinner Schrader durch Accenture im Februar diesen Jahres war ein Vorgeschmack auf das, was 2018 noch häufiger passieren wird: Fusionen über die angestammten Grenzen von Werbe- und Mediaagenturen, Onlinedienstleistern und Unternehmensberatungen hinweg. Jeder wird sich für jeden interessieren, weil niemand weiß, welche Konstellation am Ende die richtige sein wird.
Polarisierung der Dienstleisterstrukturen
Bei großen Werbetreibenden werden wir die Herausbildung zweier, divergierender Herangehensweisen sehen. Die einen werden möglichst viele, wenn nicht alle Werbe- und Marketingdienstleistungen aus einer Hand haben wollen. Dies bringt scheinbare Einsparungen und erleichtert die Dienstleistersteuerung.
Die anderen werden das ganze Gegenteil betreiben und sich kleine, flexible und spezialisierte Dienstleister halten. So erhalten sie bessere Leistungen zu höheren Steuerungskosten.
EU fördert Content Marketing
Die neue Datenschutzgesetzgebung der EU wird diese Disruption der Werbebranche noch beschleunigen. Auch wenn derzeit noch nicht klar ist, wann und wie die E-Privacy-Richtline kommen wird, so werden ihre Folgen absehbar nachhaltig ausfallen. Verbraucher erhalten zumindest die Möglichkeit, sich von Onlinewerbung per Targeting weiter zu entfernen und dies wird einerseits die Werbepreise fallen lassen. Andererseits werden den Konsumenten weniger relevante Anzeigen ausgespielt, was die KPI nach unten treibt und die Abneigungen gegenüber Display-Werbung verstärken wird.
Entgehen können Marken dies mit Content-Strategien und Native Advertising. Natürlich werden nicht alle Budgets in dieses Feld fließen, wir werden aber eine teilweise Umschichtung in diese Disziplinen sehen.
E-Sports: der erste Star
Noch immer unterschätzen viele Menschen die gewaltige Größe von E-Sports. Da erschließt sich eine jüngere Generation eine neue Form von Wettbewerb und begeistert sich für Spieler und Mannschaften. Und vielleicht suchen viele Menschen auch nach einer Alternative zum Fußball, der schon alles zu erdrücken schien und ein Bild der verfilzten Korruption abgibt. So ist der Aufstieg des Dartsports in Deutschland bemerkenswert, ebenso aber die wochenlange Top-Platzierung des Football-Erklärbuchs „Believe the Hype“ in den Sachbuch-Bestsellerlisten.
E-Sports zieht schon jetzt fünfstellige Zuschauerzahlen in Hallen, der Streamingdienst Twitch.tv erreicht laut Similarweb 740 Millionen Visits im Monat – 48 Millionen davon aus Deutschland.
Deshalb glaube ich: Wir werden im Jahr 2018 den ersten deutschen E-Gamer sehen, der Präsenz in den klassischen Medien erhält.
Der Sommer des Harry Potter
Erinnern Sie noch an den Sommer 2016, als die Welt verrückt wurde ob Pokemón Go? Das wird ein Witz gewesen sein ob dem, was uns 2018 erwartet. Niantic wird ein Augmented Reality-Spiel auf Basis des Harry Potter-Universums auf den Markt bringen. Logischer Starttermin wäre der Mai oder Juni. Richten Sie sich, ab dem Veröffentlichungstag von „Wizards Unite“ auf hysterische Euphorie der Menschen und wütende Negativberichte deutscher Medien ein: Die Welt wird wieder einmal untergehen.
Facebook: ein Annus Horribilis
Für Facebook wird 2018 ein sehr unschönes Jahr werden. Der politische Druck in Sachen Datenschutz, Kommentarmoderation und Fake News wird nochmals steigen. Wer immer die deutsche Regierung stellen wird, aggressiv gegen Facebook zu zetern sichert schnelle PR-Erfolge in den Medien – und in anderen Ländern wird es nicht anders zugehen.
Die Werbekunden werden auch nicht gerade freundlich mit dem Reiche Zuckerberg umgehen. Angeführt von Procter&Gamble-CMO Marc Pritchard versuchen einige Werbekunden Facebook zu dem zu bewegen, was ihnen schon immer am wichtigsten war: Rabatte auf Werbepreise.
In der Etappe gibt es dagegen eine andere Form des Rumorens: Viele Werbekunden sind stinksauer ob des Kompetenz- und Beratungsniveaus ihrer Betreuer bei Facebook. Gäbe es eine Beschwerdestelle für Facebook-Berater, sie hätte eben so gut zu tun wie jene, die sich um Hasskommentare kümmern sollen.
Hinzu kommt das leidige Thema der organischen Reichweite. Auch weiterhin ist es möglich, ohne Mediaeinsatz gute Reichweite zu erzielen. Doch macht sich Facebook nicht beliebter, wenn es nun Gewinnspiele abstraft, wie es das Netzwerk aus heiterem Himmel kurz vor Weihnachten verkündete (auch wenn jene Änderung vielleicht im Interesse der Nutzer liegt).
Und als Krönung des Ganzen entsteht der Eindruck, dass Facebook seine eigene Plattform nicht mehr voll im Griff hat. Ausfälle, Bugs und Merkwürdigkeiten häufen sich. Ein Beispiel: Da will Facebook Fake News durch Algorithmus-Änderungen bekämpfen. Diese Änderungen senken aber nicht nur das Engagement klassischer Medien-Anbieter – es senkt dieses sogar stärker als bei Fake News-Seiten, behauptet der tschechische Journalist Filip Struhárik. Wenn dies so stimmt, würde es darauf hindeuten, dass zumindest manche Abteilungen bei Facebook die Übersicht verloren haben.
Diese gesamte Gemengelage wird zum einem öffentlichen Spießrutenlauf für Facebook werden. In den vergangenen Jahren war der Konzern für mich das vielleicht am besten gemanagte Unternehmen der Welt. 2018 wird sich zeigen, ob Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg so gut sind, wie ich glaube.
Klassikmedien: Jahr der Schein-Wende
Es gibt keine andere Branche, die sich so sehr einreden kann, fehlerfrei zu handeln und so die eigene Sterblichkeit negiert, wie die Medienbranche. So schrieb ich 2011:
„Es scheint, Medienmanager brauchen einfach ein Feindbild. Irgendjemand, der ihnen vorspielt, ihre Probleme seien nicht hausgemacht. Dass die Leser, Zuhörer, Zuschauer sich gar nicht ändern, sondern nur weggelockt würden von den tollen Offerten ihrer Häuser. Das ist Apple der böse schwarze Mann im Rollkragenpulli, Google, der große böse Wolf vor dem Verzehr von Großmutter Friede. All diese Scharmützel füllen den Tag und das anscheinend sogar sehr gut, wie das Beispiel Christoph Keese zeigt: Der Mann hat für gar nichts anderes mehr Zeit.“
Danach kam noch der böse Zuckerberg, nun sind die Öffentlich-Rechtlichen Schuld an der Krise klassischer Medienhäuser. Das geht so seit 20 Jahren. Mehrfach schrieb ich hier, dass es, wie in jeder Branche, die sich wandelt, ein strategisches Zeitfenster gibt, währenddessen die betroffenen Akteure noch Luft und Geld für Wandlung haben, dass sich dieses Fenster aber schließe. 2018 werden sie in einem Punkt tatsächlich handeln:
„Bis spätestens Mitte des Jahres wollen die großen deutschen Verlage Teile ihres Online-Angebots kostenpflichtig machen. Das ergab eine Befragung von sieben führenden deutschen Verlagshäusern durch Arthur Andersen.“
Diese Umfrage stammt aus dem Jahr 2002:
Netzwert Reloaded LXIX: Paid-Content-Träume und ein Manifest
16 Jahre später wird dies tatsächlich eintreten. Wir werden eine deutliche Zunahme der Paid-Content-Initiativen erleben. Und wie es Branchen-Usus ist, werden alle annehmen, allein WEIL Medienhäuser Bezahlschranken setzen, würden diese auch funktionieren.
Scheinbar werden sie das auch. Denn es ist ja nicht so, dass niemand für Paid-Inhalte zahlen würde – es werden nur nicht genug sein. Die ersten aber, die ein Abo abschließen sind natürlich die größten Fans einer Medienmarke. Sie werden den Medienkonzernen das Jahr 2018 versüßen: Scheinbar wird alles auf gutem Weg sein. Doch dann werden nach 6 bis 12 Monaten die Neu-Abonnenten versiegen und es wird unschön.
Vielleicht beobachten wir das in einem Fall jetzt schon. Denn das „Handelsblatt“ hat als erster versucht, aus Abos ein Club-Konzept zu machen. Ein „exklusiver“ Kreis soll das sein. Nun bin ich Mitglied im Marketingclub Düsseldorf und somit des Deutschen Marketing Verbandes. Und der überraschte seine 14.000 Mitglieder im Dezember mit der Mitgliedschaft im Handelsblatt Wirtschaftsclub – ohne zusätzliche Kosten. Das spricht nicht für den Erfolg des HB-Clubs und riecht nach Panik.
Wenn aber jene 18er-Initiativen in Sachen Paid Content scheitern – was bleibt dann noch? Das strategische Fenster wäre vielleicht schon vollständig geschlossen. Der geschätzte Christian Jakubetz schreibt in einem lesenswerten Artikels seines Blogs bezogen auf Tageszeitungen:
„2018 ist das letzte Jahr, in dem die meisten Verlage noch halbwegs ruhig arbeiten können. In dem die Zeitung noch ausreichend viele Erlöse abwirft, sich der Erneuerungsdruck in Grenzen hält und man auch mit einer eher bescheidenen Online-Strategie irgendwie über die Runden kommt.
Danach wird´s eng. Absehbar ist eine ganze Reihe von Herausforderungen, die sich nicht mehr länger verschieben lassen. Ab 2019 steigt der Druck im Kessel. Und unter Druck arbeiten ist nur eingeschränkt lustig.“
Kurz: 2018 werden viele Medienentscheider glauben und sich gegenseitig einreden, das rettende Ufer erreicht zu haben.
Kommentare
Matthias Bastian 6. Januar 2018 um 13:50
Sollte das hier nicht heißen „hat Marken nicht daran gehindert, das Feld des Influencer Marketing zu hinterfragen“ … „hat Marken nicht daran gehindert, weiter in IM zu investieren“ …?
Ansonten: Der Tod des Werbebanners greift m.E. in erster Linie die unabhängigen Publisher und Verlage an, nicht die Werbewelt. Die dürfte sich sogar freuen, weil ihr das Tür und Tor öffnet für völlig intransparente Werbemodelle. Die Werbebranche träumt davon, dass sie mit „nutzenstiftender“ Werbung und simuliertem Journalismus klassische Redaktionen endgültig absetzen kann. Der ultimative Machtzugewinn. Wahrscheinlich wird sie erfolgreich sein, denn der Nutzer / Leser hat kein Bewusstsein dafür, welchen Schaden er mit Werbeblockern anrichtet.
Kai Wetzel 9. Januar 2018 um 8:35
Ganz genau: Die meiste Werbung nervt. Mir ist auch aufgefallen, mein TV-Konsum abends läuft meist über Netflix, Amazon oder Sky. Lustigerweise nervt mich die eigene Skywerbung schon so, wie damals die TV-Werbung. Da wo mich die Werbung nervt ist auf Youtube. Demnach sollten alle TV-Sender auf Youtube umziehen und dort Werbung schalten. Auch wenn man nach 3 Sekunden eh schon wieder geklickt hat. Welch Vorstellung für Ende 2018: Werbefreies Fernsehen überall! Aber es merkt kaum jemand 🙂
Ein Hobby-e-Sportler 9. Januar 2018 um 9:06
Als „Anhänger“/Fan und hobbymäßiger Teilnehmer des e-Sports muss ich ihre Prognose zu dieser leider korrigieren. Es gab 2017 schon einen e-Sportler, der ist in die Medien geschafft hat. Und ich bin ehrlich gesagt enttäuscht darüber, dass Sie ihn nicht nennen, da er immerhin DAS e-Sport-Event überhaupt mit dem höchsten Preisgeld dieser Branche gewonnen hat (DotA 2 – The International , Preisgeld insg.: ~ $25 Mio., davon ~$11Mio. für den 1.Platz). Sonst versuchen Sie Ihre Prognosen auf sorgfältige Recherchen zu stützen, so scheint es auch in diesem Feld (siehe Twitchdaten), jedoch sich zu den ganzen laufenden Events dieser Branche zu informieren, haben sie anscheinend nicht für nötig gehalten, wie es scheint. Sonst wären sie schon auf einige Tuniere und/oder „Championships“ gestoßen, vielleicht nicht immer mit deutschem Sieger, aber mind. Teilnehmer.
Hier auch nochmal einer der Links zum deutschen Titelträger:
https://www.ran.de/esport/news/dota-2-deutscher-esportler-gewinnt-wm-und-ueber-10-millionen-dollar-112400
oder dieser hier:
https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article167645822/Team-von-Berliner-Zocker-gewinnt-Millionen-bei-Computerspiel.html
Thomas Knüwer 9. Januar 2018 um 16:17
@Ein Hobby-e-Sportler: Da möchte ich Sie aber korrigieren. Denn ein Bericht in ran und die Übernahme einer DPA-Meldung in der Welt reicht für mich nicht. Es gibt nur Meldungen seines Erfolgs, aber keine Interviews oder ernsthaften Portraits, keine Talkshowauftritte oder ähnliches.