Vorgestern geisterte eine Jugendstudie durch die germanische Medienwelt, hier ein Auszug:
Was sagte die Studie? Zitieren wir die Deutsche Welle:
„Noch nie seit der Nachkriegszeit ist die Jugend in Deutschland so wenig rebellisch wie heute gewesen. Das ist ein Hauptergebnis der neuen Sinus-Jugendstudie, die Sozialwissenschaftler in Berlin vorstellten. Sie stand unter der Fragestellung „Wie ticken Jugendliche 2016?“. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Orientierung in einer zunehmend unübersichtlichen Welt lasse Teenager eine ungewöhnlich große Nähe zur Elterngeneration suchen, lautet eine Erklärung dafür. Zu weiteren Ergebnissen zählt, wie sehr Teenager das Thema Flüchtlinge interessiert und wie tolerant viele der Zuwanderung gegenüberstehen. Gewundert hat die Forscher, dass junge Leute zunehmend ein wenig Online-müde werden.“
Klingt spannend und trifft fast klischeehaft das, was man der Generation Z so nachsagt. Herausgeber der Studie ist das Sinus-Institut in Berlin, das sein Werk mit dem schlagzeilengeeigneten Titel „Wie Jugendliche ticken“ vermarktet. Natürlich gibt es auch wieder Sinus-Milieus, eines der Hauptgeschäfte des Instituts. Diese Milieus gruppieren die Gesellschaft oder eine Generation in Lebenswelten mit spezifischen Eigenarten. Unter Jugendlichen solle es sieben der Welten geben:
Das klingt interessant, breit angelegt und wissenschaftlich untermauert. Weshalb praktisch alle Medien darauf anspringen. Über 4.000 Zeichen widmet „FAZ“-Korrespondent Johannes Leithäuser der Studie und – wie es sich für ein analogfetischistisches Blatt gehört – natürlich ist der Satz „Jugendliche zeigen eine ,digitale Sättigung'“ so zu lesen:
Jugendliche zeigen eine „digitale Sättigung“
Bento, das Jugendobjekt von Spiegel Online, kann dagegen solch böse Worte gegen die eigene Zielgruppe nicht stehen lassen und spricht sie frei von der Schuld, langweilig zu sein:
72.
Tiefeninterviews waren es, klar. Aber trotzdem.
72.
Was bedeutet, jede dieser Lebensweltbeschreibungen setzt sich bei Gleichverteilung zusammen aus den Erfahrungen von 10,28 Jugendlichen. Aber natürlich sind diese Milieus nicht gleich groß und so könnte die Gruppe der Prekären vielleicht nur aus vier oder fünf befragen Jugendlichen gebildet worden sein.
Sprich: Diese Studie taugt nur wenig. Sie selbst sagt, dass es nicht „die“ Generation der Jugendlichen gibt. Ach, wirklich? Wie will man auch aus 72 Menschen brauchbare Gruppen formen?
Eigentlich aber muss man dem Sinus Institut natürlich gratulieren. Mit einem so überschaubarem Aufwand und dann noch staatlich subventioniert so viel Aufmerksamkeit zu erhalten für das eigene Geschäft – Respekt. Allerdings braucht es dafür nur die simple Erkenntnis, dass die von Content-Hunger dumm gewordenen Redaktionen der Nation niemals ein Thema ignorieren werden, dass sich so leicht in einen Artikel verwandeln lässt.
Klar, ist das Geschriebene unreflektierte Leserverdummung. Aber das ist all den Onlineredaktionen längst komplett egal. Die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Themas scheint das Finden von Fotos zu sein. Zeit Online entschied sich deshalb für ein DPA-Foto grillender „Jugendlicher“ im geschätzten Alter von Anfang 30. Vielleicht glaubt man in geistig vergreisten Redaktion-Großräumen tatsächlich, so sähen Jugendliche aus:
Kommentare
Nils Müller 28. April 2016 um 17:25
Hm, hier muss ich als qualitativ forschender Soziologe mal einhaken: Es stimmt, eine Fallzahl von 72 ist nicht wirklich viel und es ist tatsächlich fragwürdig, ob damit eine derart scharfe Abgrenzung möglich ist, wie sie das Institut kommuniziert. Das ist aber natürlich auch nicht die erste Studie dieser Art und die Milieus kommen mir aus den vorherigen Studien auch recht bekannt vor.
Ich vermute jedoch, dass diese Milieus nicht aus einer quantitativen Clusteranalyse entstanden sind, für die die Fallzahl relevant ist, sondern eher aus einer qualitativen Entwicklung von Idealtypen, für die 72 schon eine ziemlich hohe Zahl an Interviewpartnern wäre.
Auf diese Weise gewinnt man zwar keine statistische Absicherung, aber dafür extrem gutes Wissen über jedes dieser Milieus, also eben mehr als „da häufen sich die Merkmale“, sondern tatsächlich „so ticken die“.
Und 72 Tiefeninterviews sind, vernünftig gemacht, ein Heidenaufwand: von der Auswahl der Jugendlichen über die Anbahnung der Gespräche, das Führen der Interviews, das Transkribieren und schließlich das Auswerten. Das ist dem Fall nämlich nicht „lass ich mal eben den Algorithmus drüberlaufen“, sondern vielfaches Lesen, Codieren und Systematisieren der Transkripte von denen eines gerne 40 bis 50 Seiten lang sein kann.
Ob die beim Sinus-Institut tatsächlich so sauber gearbeitet haben, kann ich nicht einschätzen, aber kleine Fallzahl -> schlechte Ergebnisse ist auf jeden Fall zu schnell gesprungen.
Vampy 4. Mai 2016 um 14:27
Ob 72 interviewte Jugendliche dennoch ausreichend sind, um daraus Schlußfolgerungen auf alle Jugendliche abzuleiten?
Ich möchte bezweiflen, ob die Ergebnisse wirklich so repräsentativ sind, wie sie dargestellt werden bzw. wie über sie berichtet wird.