Im Frühjahr 2007 waren die Reisekostenrestriktionen meines damaligen Arbeitgebers, dem „Handelsblatt“, noch nicht so scharf, wie sie es bald sein würden. Deshalb wurde es eher achselzuckig hingenommen, dass ich nach Berlin reisen wollte zu einer Konferenz, bei der nicht klar war, ob sie in der Berichterstattung überhaupt verwertbar sein würde. Doch es war eine Konferenz aus der Blog-Szene und dieses Blog hier war nach zwei Jahren so was wie etabliert. Außerdem Berlin – nicht teuer.
Jene Veranstaltung hieß re:publica und bemerkenswerterweise bloggte ich hinterher nichts über sie. Sie war Thema im Medienpodcast „bel étage“, den ich damals gemeinsam mit Hans-Peter Siebenhaar moderierte. Nachzuhören ist das nicht mehr – das „Handelsblatt“ hat sämtliche Ausgaben gelöscht.
Auch war ich auf ein Podium geladen, gemeinsam mit Mercedes Bunz, Johnny Haeusler, Jochen Wegner und Tim Pritlove sollte ich über neue und alte Medien unter dem Titel „Medien(r)evolution“ diskutieren. Die Aufzeichnung dieser Diskussion ist noch immer online zu haben – im Gegensatz zum Podcast, was vielleicht mehr über jene Medien(r)evolution aussagt also unser Gespräch auf der Bühne.
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Namensschilder waren hilfreich, denn wer nicht aus Berlin kam, traf in der Kalkscheune viele Menschen erstmals, die er nur durch Blogs oder das noch junge Ding namens Twitter kannte. „Ach, du bist…“, gefolgt von der Nennung eines Web-Pseudonyms dürfte der am häufigsten gefallene Satz jener ersten re:publica gewesen sein. In jenen Tagen traf ich erstmals, wenn ich mich recht erinnere, Tanja und Johnny Haeusler, Markus Beckedahl, Andreas Gebhardt, Don Dahlmann, Frau Kaltmamsell, Madame Julie, MC Winkel und Tim Pritlove.
Aus heutiger Sicht ist diese Atmosphäre nur schwer nachzuvollziehen, wissen wir dank Facebook doch meist schon sehr viel von jenen Menschen, auf deren Werke wir digital stoßen. Wie anders es sich damals anfühlte merkte ich bei diesen Zeilen aus dem Jahr 2007 von Sven Dietrich:
„Erkenntnisse soweit: Twitter benutzen doch recht viele, die Leute Twittern sich gegenseitig in einem Saal irgendwelche Sachen zu, eben stand ein mensch vor mir, den ich noch nie gesehen habe, der aber meine Twitter-SMS bekommt und wir uns kurz kennen lernten, ich finde das alles lustig bis sehr Nerd-lastig, es gab dazu wenig Technik, zu wenig Sonne am Himmel und ich freue mich auf morgen.“
Alles war neu und glitzernd in den Köpfen, während die Stühle unter unseren Hintern (wenn man überhaupt noch einen erwischte) hart und wackelig waren. Nach dem ersten Tag telefonierte ich mit der „Handelsblatt“-Redaktion, ob sie denn einen Artikel haben wollte. Ich ahnte, wie die Antwort lautete: „Interessiert unsere Leser nicht.“ Erst bei der dritten rp war überhaupt Interesse an einem Stück für Online vorhanden. Wussten wir Besucher der re:publica 2007, was aus dieser Konferenz werden würde? Dass wir 10 Jahre später mehr als zehn Mal so viele sein würden? Dass die re:publica nicht einfach eine Konferenz wäre, sondern ein sozialer Fixpunkt auf den viele von uns sich freuen, wie ein Kind auf Weihnachtsgeschenke?
Sicher nicht.
Und doch.
Da schwebte ein Gefühl durch die Kalkscheune, dass jene re:publica genau das sein könnte, was nötig war. Ein Zusammentreffen all jener, die sich für das Netz als verändernder Faktor der Gesellschaft interessierten und das nicht in einem kühlen Konferenzhotel stattfand, sondern organisiert von Menschen, die selbst bewegt sind von jenem Thema, an einem Ort, den alle gemeinsam zu dem ihren machen konnten.
Die Tage in Berlin waren auch deshalb so wichtig, weil alle Teilnehmer als gegeben ansahen, was auch in der Redaktion „Handelsblatt“ nicht geglaubt wurde: Das Internet wäre nicht irgendwann vollgeschrieben und würde abgeschaltet – es würde unsere Welt dauerhaft und in erheblichem Umfang verändern. Mit dieser Grundannahme ließ sich anders debattieren, anders denken, anders planen.
Diese Gewissheit wurde in den Folgejahren gern als Arroganz ausgelegt. Mit dem Wachstum der re:publica stieg die mediale Aufmerksamkeit und die Präsenz großer Medien. Schön war das nicht.
Erst schickten Blätter wie die „FAZ“ oder „Süddeutsche“ freie Mitarbeiter, dann fest Angestellte. Ein Kompetenzgewinn war bei diesem Wechsel nicht auszumachen. Stattdessen suhlten sich die Altmedialen darin, die Republicaner als arroganten Haufen besserwisserischer Arschlöcher darzustellen. Derart vorhersehbar war die Medienberichterstattung über Jahre, dass es ein leichtes war, vor einer re:publica bereits Artikel vorzuempfinden.
Es war gut, dass weder die Organisatoren noch die Teilnehmer, dies zum Anlass nahmen, sich zu verändern. 2009 schrieb ich für das „Handelsblatt“:
„Vier Jahre lang von den klassischen Medien beschrieben als „Online-Tagebücher“, wahlweise geschmäht als größenwahnsinnig oder idiotisch, sind die Autoren gelassener geworden. Aus einem ungewöhnlichen Hobby ist eine Sphäre entstanden, die sich ihrer eigenen Bedeutung sicher ist.
Das zeigte sich auch vergangene Woche bei der Re-Publica, dem jährlichen Kongress, der aus der Blog-Szene heraus entstanden ist: Was als liebenswert-chaotischer Treff begann, ist in seiner dritten Ausgabe eine Großveranstaltung mit über 1 600 Teilnehmern und prominenten Rednern wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales oder Jura-Professor Lawrence Lessig.“
Schon damals war die re:publica auch ein Ort, an dem sich die Hilflosigkeit klassischer Medien gegenüber der sich wandelnden Welt manifestiert. So passierte auch dies 2009:
„„Zeit“-Redakteur Kai Biermann musste sich Kritik gefallen lassen, als er auf der Re-Publica einen Blogger, der Recherche im Politik-Journalismus vermisste, aufforderte, es doch als Chance zum Selbermachen aufzugreifen. Ironisch fragte jemand aus dem Publikum, wer denn die vierte Macht im Staat eigentlich sei.“
Jahr für Jahr wuchs die Konferenz, zog erst in den Friedrichstadtpalast, dann in die Station. Das von allen geliebte Open-Air-Abschlussbier vor dem Newthinking-Store war nicht mehr machbar. Und die ersten gingen von uns: Jo Schäfers und Robin Meyer-Lucht lernte ich auf der re:publica kennen – ihr fehlt.
Die Bezeichnung „Klassentreffen der Blogger“ hört das Organisationsteam wahrscheinlich gar nicht mehr gern. Der Anspruch ist höher geworden, das Publikum internationaler. In diesem Jahr geht es um Flüchtlinge, islamisches Recht, Pressefreiheit in Afrika, die Stellung des Designs in unserer Gesellschaft, um Making und Hacking, die Moral selbstfahrender Autos und die Zukunft der Arbeit.
Und doch ist die re:publica für viele Menschen gefühlt genau das. Ein Klassentreffen. Ein Wiedersehen von Menschen mit denen man Erinnerungen teilt, eine Historie. Nur dass es dieses Klassentreffen nicht bei der Vergangenheit lässt. Hier werden neue Ideen entwickelt und Projekte angegrübelt, so dass die re:publica eigentlich Klassentreffen und Einschulung in einem ist.
In keinem dieser 10 Jahre war die rp kalt und professionell, sondern herzlich, warm, offen, mitnehmend. Der Frauenanteil auf und vor der Bühne liegt bei rund 50% (ja, das ist möglich), Inklusion ist Alltag. Es ist diese hohe Gelassenheit mit der Buntheit unserer Welt, der die Konferenz so außergewöhnlich macht.
Dass diese Atmosphäre noch immer hält, ist ein kleines Wunder. Zu verdanken haben wir Besucher dies einem Organisationsteam, das es geschafft hat das Gleichgewicht zu halten zwischen der nötigen Kommerzialisierung und dem Anspruch, das Geld nicht regieren zu lassen.
Und dafür:
Danke, Tanja.
Danke, Andreas.
Danke, Johnny.
Danke, Markus.
PS: Für all, die in Berlin sein werden. Am Dienstag Abend um 20 Uhr laden Christiane Link, Franziska Bluhm, Daniel Fiene und ich uns wieder Überraschungsgäste auf die Stage 2 zum Digitalen Quartett. Kommt alle!
Kommentare
johnny 30. April 2016 um 23:20
Mal ganz Old School per Kommentar im Blog:
Danke, Thomas!
Schön, dass du dabei bist!