„Menschen für Xaiver Naidoo“ war am Samstag eine Zeitungsanzeige überschrieben, die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu finden war. Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg hatte dafür sein Netzwerk aktiviert um ein Zeichen für Naidoo zu setzen, dessen Image durch die ESC-Absage eine weitere schwere Delle erlitten hat.
Die Liste der Unterzeichner ist prominent besetzt. Sofort fragt man sich, was Menschen wie Mario Adorf antreibt, einem so offensichtlich umstrittenen Künstler derart zu unterstützen. Oder Heinz Rudolf Kunze, dessen Fan ich bin? Der in seinen Texten immer wieder dazu aufrief, sich gegen das kleinste Aufmucken rechter Gesinnung zu wenden? Er findet rechte Anklänge wie die von Naidoo total OK? Das gleiche betrifft Leute wie Michael Mittermeier und Rea Garvey, die via Facebook für ihren „Bruder“ Xavier einstanden.
Ich fürchte, Kunze, Adorf oder Herbert Grönemeyer wissen gar nicht, wie merkwürdig Naidoo oft unterwegs ist. Und noch viel weniger haben sie gelesen, was da geschrieben wurde und dass es sich keineswegs um einen wütenden Mob handelt.
Denn halten wir nur noch mal kurz zur Sicherheit fest: Naidoo hat die Existenz der Bundesrepublik negiert; er hat behauptet, 9/11 sei vom CIA geplant worden; er hat einen Text geschrieben, in dem er behauptet, es gebe in Europa Ritualmorde an Kindern (eine Legende, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zur Förderung von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eingesetzt wurde) – und diese würden nicht verübt, wenn die Mörder heterosexuell seien; in einer anderen Zeile spielt er mit dem alten Bild des jüdischen Bankers, der nach Weltherrschaft strebt. All dies ist sauber nachvollziehbar – sehr gut aufgeschrieben bei den Ruhrbaronen – und ist von Naidoo auch nicht wirklich bestritten worden. Vielmehr drückt er sich um eine klare Abkehr von diesen merkwürdigen Theorien herum und behauptet einfach, er stehe doch für Nächstenliebe.
Nein, ich fürchte wir sehen mit dieser Anzeige neuen Höhepunkt der Abkoppelung der VIP-Kaste vom realen Leben – und sie könnte zum gesamtgesellschaftlichen Problem werden inklusive der Stärkung der „Lügenpresse“-Tendenzen.
Denn eigentlich gab es diese Abschirmung der Prominenz vom Rest der Welt schon sehr lang. Rund zwei Jahre lang betreute ich für das „Handelsblatt“ Anfang der 00er-Jahre die damalige Freitagsbeilage „Weekend Journal“ und erhielt in dieser Zeit ein erhöhtes Maß an Einladungen zu Veranstaltungen oder Interviews mit Prominenten.
Oft war das ein Blick in den Abgrund. Der Tiefpunkt war ein Interview mit Randy Crawford, die kaum in der Lage war, mehr als einen Satz zu sprechen. Ob das an Psychopharmaka oder anderen Substanzen lag – ich weiß es nicht. Sie wurde von ihren PR-Leuten im Hotelzimmer abgesetzt und sollte Interviews führen. In der Lage war sie dazu nicht. Am folgenden Abend das Konzert, auf dem sie die Zeilen eines Liedes a capella anstimmte, abbrach und murmelte: „Sie haben mir gesagt, ich darf das hier nicht singen. Vielleicht beim nächsten Mal.“ Es war gruselig.
So etwas kann dabei herauskommen, wenn man in die Mühlen des Prominentenlebens gerät. Ein Leben, das sich maßgeblich auch daraus generiert, eingeladen zu werden. Dann lesen wir in den zugehörigen Rubriken, Schauspielerin X sei bei einem Shop-Opening gewesen, Sportler Y bei einer Filmpremiere oder Moderatorin Z bei einer Benefiz-Gala. Oft genug stimmt das gar nicht: PR-Agenturen schreiben gern mal bekannte Namen in die Pressemitteilungen eines solchen Events, obwohl der Genannte nicht anwesend war – denn es ist ein Klient von ihnen. So gewinnt eine gemeine Ladenöffnung an Glamour und der Name des Klienten taucht in den Medien auf.
Zu dieser Form der Gesellschaft gehört folgerichtig, dass man sich zumindest nach außen gern hat. Treffen sich die Mitglieder dieser Prominenzblase, fallen nur schöne, gute und tolle Worte, Bussi links, Bussi rechts, alle sind Freunde und respektieren sich. Die Einladenden sind voll des Lobes für den Eingeladenen, sind immer große Bewunderer und freuen sich wahnsinnig, dass der Prominente Zeit gefunden hat. Wärenddessen stehen vor der Tür die Fans, die Selfies wollen und bei Gelegenheit angemessen kreischen. Es ist ein einziger Flauschsturm, der zu seiner rosigen Filterblase führt. Solch ein Umfeld kann auf Dauer nur zu einer psychischen Deformation führen.
Die wenigen Momente, da die betreffenenden Personen aus dieser rosa Blase herausgerissen werden, sind Kontakte mit den Medien. In Interviews werden kritische Fragen gestellt, bei Kritiken gibt es Kritik und die Klatschpresse fabuliert sich im Tagesrhythmus neue Unwahrheiten herbei. Wen ansonsten wohlige Zustimmung und – zumindest geheuchelte – Liebe umgibt, dem muss selbst der leichteste Gegenwind schneidend vorkommen.
Nun haben sich zwei Dinge in den vergangenen Jahren verändert. Zum einen haben die Medien jener Kaste der Prominenten immer mehr Raum gegeben. In Talkshows sitzen Quotenschauspieler ja nicht in der Polit-Runde, weil sie etwas Substanzielles beizutragen hätten. Vielmehr kalkulieren die Redaktionen, dass eine gehörige Zahl von Menschen nur einschaltet, wenn sie ein Promi-Gesicht erblicken. Oder Bücher: Wäre der Autor von „Ich bin dann mal weg“ ein gewöhnlicher Jakobsweg-Pilger gewesen, sein holpriger Stil hätte es nie zu einer Verlagsveröffentlichung gebracht. Und 2013 wäre eine Reise nach Syrien für die „Bild“ nicht interessant gewesen – sie wurde es dadurch, dass Jan-Josef Liefers sie antrat.
Die zweite Veränderung ist der Onlinejournalismus. Die Zahl der Medien ist drastisch gestiegen und gerade klatschjournalistische Angebote haben sich vervielfacht: Denn meistens ist es relativ egal, ob es man in diesem Feld mit der Wahrheit genau nimmt oder nicht. Und egal ob Neuling oder Klassik-Medium: So lange Klickzahlen und Visits über Werbeeinnahmen bestimmen – und nicht die Verweildauer – sind Promi-Stories ein probates Mittel um die Werbeeinnahmenindikatoren nach oben zu treiben. Denn diese Geschichten sind eben der kleinste, gemeinsame Nenner unserer Kommunikation: In der Kaffeeküche sind Prinz Harrys Haarprobleme ein Thema, nicht die Steuerschätzung des Bundes für 2016.
So bekommt die Promi-Kaste immer noch mehr Raum und fühlt sich noch wichtiger, während andererseits die Zahl der Medien steigt, die Dinge veröffentlicht, die ihr nicht recht sind (was man in gewissen Fällen ja durchaus verstehen kann). Weshalb sich ein Corps-Geist gebildet hat: Die gegen uns, DIE MEDIEN vs. UNS KÜNSTLER. Die Fronten werden dabei immer härter, egal ob es um Günther Jauchs Abmahnfreude gegen Klatschmedien geht, Grönemeyers Wut gegenüber einem Paparazzi oder Till Schweigers wiederkehrende Ausbrüche.
Differenzierung findet nicht statt: Alle Medien kommen in einen Sack – und dann raus den Knüppel. So dürfte es Marek Lieberberg, dem Erdenker jener Anzeige, auch leicht gefallen sein, seine Schäfchen einzusammeln. Wenn er im Interview mit der „Süddeutschen“ behauptet, er habe „Heuchelei, die Hetze und den blinden Hass“ beobachtet, so wird dies auch von der „SZ“ nicht hinterfragt. Tatsächlich kam all dies von Redaktionen nicht. Sie berichteten über die Kritik an Naidoos Nominierung, erklärten die Situation. Natürlich gab es auch Kritik, doch die erwähnte jene handfesten Argumente, zum Beispiel gegen die Vertretung eines Landes durch eine Person, die dieses Land nicht als Staat anerkennt.
Doch Heuchelei? Hetze? Hass? Die gab es nicht wirklich.
Genau deshalb ist es so gefährlich, was da gerade passiert. Denn die Argumentation von Lieberberg, seinen Anzeigenunterzeichnern und all den anderen Prominenten unterscheidet sich kein bisschen von den Argumenten der „Lügenpresse“-Schreihälsen. Auch sie inszenieren eine Medienrealität, die so nicht existiert. Auch sie wollen das Bild von den bösen, gesteuerten Medien zeichnen, die sich gegen den kleinen Bürger, oder im Lieberberg-Jargon „Menschen“ richten und jeden mundtot machen wollen, der nicht mit ihnen auf einer Linie sind.
Wir haben inzwischen unzählige Reportagen von den Pegida-Demos und ähnlich gearteten Veranstaltungen. Jedes mal fragt man sich: Wie kann man so weltfremd sein? Wie kann man ernsthaft glauben, Pegida sei nicht rechts?
Nicht anders nun die „Marek und die Lieberberger“ für Xavier: So nett der Sänger menschlich vielleicht ist – muss man sich angesichts seiner Thesen wirklich hinter ihn stellen? Hat ihn irgendjemand mal zur Seite genommen und gefragt, wie solche merkwürdigen Äußerungen zu verstehen sind und dass er sich vielleicht mal detaillierter erklären sollte? Und dass anschließend eine öffentliche Unterstützung sinnvoller wäre?
Wie gefährlich dies alles werden kann, zeigen die Reaktionen im Social Web. Egal auf welcher Seite: Häufig vereinnahmten die Naidoo-Fans dessen Zitate, wählten die gleichen Worte, so tauchte der von Naidoo für sich in Anspruch genommene Dreiklang „Liebe, Freiheit, Toleranz“ in genau dieser Reihenfolge in Kommentaren auf.
Bei dieser unschönen Situation müssen wir noch froh sein, dass Deutschlands Prominente noch analoger unterwegs sind als der Durchschnittsbürger. Bei den meisten ist eine mittelmäßig gepflegte Facebook-Seite das höchste der Gefühle. Mir wird unwohl bei dem Gedanken, sie könnten sich durch Blogs engagieren, in denen sie ihre Meinung länger darstellen. Doch das wird passieren. Einen Vorboten sehen wir in diesen Tagen anlässlich des Abschieds von Star-Basketballer Kobe Bryant. Früher hätte der sein Karriereende per Interview im TV verkündet. Heute schreibt er ein Gedicht auf The Players‘ Tribune, einer Art Blog-Plattform für Profi- und Ex-Profi-Sportler, an der Bryant selbst beteiligt ist.
Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis wir eine „Naidoo Tribune“ haben, die seine Fans für glaubwürdiger halten als Medien. Und deshalb sollte die Aktion von Marek Lieberberg eine andere Überschrift tragen: „Brandstifter für Xavier Naidoo“.
Kommentare
Petra 1. Dezember 2015 um 19:03
Man fragt sich, welchen Druck Lieberberg auf seine Vetragspartner ausgeübt hat. Nach dem Artikel aus der taz vom Juni hätte ich niemals gedacht, dass auch die Prinzen unter dieser Anzeige stehen.
http://www.taz.de/Die-Prinzen-und-Xavier-Naidoo/!5202382/
Uwe Mosgallik 1. Dezember 2015 um 19:43
Hallo Thomas,
ich war von 1986 bis 2000 in der Musikszene unterwegs und kann dir versichern, dass es diese Bussigesellschaft nicht erst seit ein paar Jahren gibt. es ist ganz selbstverständlich und auch anständig seinen Kollegen den notwendigen Respekt zu zollen. Xaver ist sicherlich ein großartiger Musiker. Ok, ich mag seine weinerliche Musik eigentlich nicht, trotzdem, würde ich mich vor dem verbeugen, was er geschaffen hat. Musikalisch! Künstlerisch! Das geht schon in Ordnung. Solange man die Worte, die Inhalte weg lässt (Wie war das nochmal? Was ist in SEO so wichtig?).
Es geht nicht, dass sich jemand, der so sehr im öffentlichen Leben steht, Parolen schmettert, die völlig an den Haaren herbeigezogen sind. Seine Äußerung sind nicht mal annähernd mit einem Kunstkonzept wie dem NSK (https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Slowenische_Kunst) vergleichbar. Xaver scheint es ernst zu meinen. Er sammelt Fans in dieser Szene. Das mag auch aus seiner Vergangenheit stammen – Sabrina Settlur? Die Onkelz? Das war mal sein Dunstkreis.
Dass sich nun solch honore Personen wie Mittermeier, Grönemeier, Mario Adorf oder JJ Liefers für ihn kommiten kann ich echt nicht verstehen. Naja, wohl nur unter dem Aspekt, wie du es schreibst – Lieberberg hat seine Schäfchen gerufen, //ich habe doch so viel für euch getan, nun müsst ihr mal was für mich machen// … Echt?! Und da sagt keinen von denen nein? Erbährmlich. Wie hätte eine Dunja Hajali auf so eine Bitte reagiert?
Somaro 2. Dezember 2015 um 10:51
@Petra:
Ich sehe es wie Mr. Knüwer, kein irgendwie ausgeübter Druck sondern eine homogene Gruppe von Personen, die sich angegriffen fühlen und daher nicht mehr hinterfragen. … Es ist wie mit Polizeibeamten, die für ihre Kollegen lügen oder Journalisten, die alles tun, aber nicht die andere Zeitung kritisieren. … Das Kollektiv ist wichtiger und so haben auch die Unterzeichner nicht hinterfragt oder nachgefragt – das Kollektiv wurde angegriffen, also muss das Kollektiv dahinter stehen. – Der Druck kommt von innen, von jedem einzelnen Mitglied, das sich selbst unter Druck setzt.
Wie Marek Lieberberg uns die Anzeigenrabatte der FAZ verriet 2. Dezember 2015 um 13:40
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