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Mitte der 60er Jahre kämpften die politischen Entscheider im Ruhrgebiet mit einem großen Problem. Ihre Region lebte vor allem von der Kohle- und Stahlindustrie. Diese waren noch groß, ihr Abschwung aber schon längst spürbar. Neue Industrien entstanden – doch die mochten nicht unter den faktisch grauen Himmel ziehen. Nicht nur, weil die Luft schlecht war – sondern auch das Klima: Die alten Industrien kämpften gegen die Ansiedlung der neuen Aufsteiger.

(Foto: Shutterstock)

Da waren die Zechen, die jede Menge Ländereien gekauft hatten, unter denen sie gruben. Wenn dann mal etwas passierte, konnte es keine Schadenersatzansprüche geben. Diese Immobilien waren nun stille Reserven – und somit extra teuer. Andererseits fürchteten die Ruhrbarone um ihre Arbeitskräfte: Denn so ziemlich jede andere Industrie konnte angenehmere Jobs bieten als das Ausgraben staubiger Kohle oder das Extremschwitzen in Stahlwerken.

So blockierten die Altvorderen, wo sie nur konnten. Als Ford beispielsweise ein neues Werk in Hamm plante, schossen die Barone aus allen Rohren. Ergebnis: Ford ging nach Genk –  und ist noch heute der größte Arbeitgeber in der Stadt. In Bochum gelang die Ansiedlung von Opel vor allem deshalb, weil damals Josef Hermann Dufhues als Innenminister des Landes agierte: Er kam aus Bochum,  kannte die Beteiligten und schaffte die Ansiedlung.

Sehr schön nachzulesen ist dies alles in einem Interview des „Spiegel“ mit NRW-Ministerpräsident Franz Meyers.

Diese Blockadepolitik der sterbenden Industrien verhinderte den notwendigen Umbruch der Region. Mutmaßlich ginge es Städten wie Bochum, Gelsenkirchen oder Dortmund heute besser, hätten sie schneller und flexibler den Weg in eine neue Zeit antreten können.

Halten wir also fest: Ruhrbarone und ihre psychologischen Gegenstücke verhinden der Fortschritt notfalls auf Kosten ihrer eigenen Noch-Arbeitskräfte und vor allem auf Kosten der Allgemeinheit.

Und damit würden wir bei den Zeitungsverlegern im Jahr 2010 und ihrer Idee eines Leistungsschutzrechtes.

Am heutigen Tag startet eine Initiative gegen jenes Leistungsschutzrecht namens Igel. Zu deren Unterstützern zählen zahlreiche bekannte Namen aus der Internet-Branche. Und um es ganz bürokratisch festzuhalten: Ich unterstütze Igel und bitte Sie, liebe Leser, dies ebenfalls mit Nachdruck zu tun.

Jenes Recht, das nochmal kurz erklärt, geht von der These aus, dass journalistische Inhalte massenhaft im Web raubkopiert würden. Diese Piraterie sei nicht zu stoppen, weshalb es einer anderen Lösung bedürfe, behaupten vor allem Medienkonzerne. Diese Lösung sehen sie in einer Bezahlung von Web-Inhalten für berufliche Nutzung. Sprich: Unternehmen sollen eine Internet-Abgabe zahlen.

Meine Haltung zu diesem Thema ist nicht neu: Das Leistungsschutzrecht ist eine Lüge.

Zum einen gibt es keine massenhaften Raubkopien journalistischer Inhalte im Internet. Bis heute ist es den Verlagen nicht gelungen auch nur Einzelbeispiele vorzulegen. Auf konkrete Anfragen, wie von Stefan Niggemeier, schweigen sie – wir dürfen hoffen, peinlich berührt ob dieser leicht zu durchschauenden Öffentlichkeitsmanipulationsversuche.

Tatsächlich richtet sich die Maßnahme gegen Google. Das wagen aber nur wenige zu sagen. Google News ärgert sie und Google insgesamt sowieso. Und so behaupten Verlagsmanager gern auch mal, Google verdiene Milliarden auf ihre Kosten, was natürlich leicht zu widerlegender Unsinn ist. Und: Google schaufelt ihnen massenhaft Leser zu – mit denen die Verlage nichts anzufangen wissen.

Tatsächlich ist das Leistungsschutzrecht der peinliche Versuch, um Staatssubventionen zu betteln. Doch der Staat soll natürlich nicht belastet werden – das käme in diesen Zeit schlecht. Die weich gepolsterten Stühle der Verleger sollen refinanziert werden durch andere Branchen – und auf Kosten der Pressefreiheit. Auch freie Journalisten werden darunter leiden, für viele von ihnen dürfte sich im Falle des Leistungsschutzrechts ihr Beruf nicht mehr lohnen (mehr dazu lesen Sie bei den Freischreibern).

Und das alles zugunsten einer Branche, die sich selbst immer noch einredet, ihr ginge es gut. Print sei doch ein tolles Geschäft flöten Personen wie Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner. Wer dieser Logik folgt – und Verlagsmanagern sollte man besser nicht mit Logik kommen – sieht ein gutes Geschäft verbessert mit Geldern anderer Branchen. Bemerkenswert.

Diese Peinlichkeit wird notwendig weil Deutschlands Verlage zu den am schlechtesten gemanageten Unternehmen der Republik gehören. Weil Innovation für sie die Verstopfung von Marktlücken ist, die von der Konkurrenz entdeckt wurden. Weil die digitalen Revolution für sie weiterhin bestenfalls im Errichten einer Homepage besteht.

Die Probleme der Medienunternehmen sind nicht imaginierte Raubkopien oder eine Gratiskultur im Netz (die auch so eine Lüge ist). Sie sind hausgemacht. Die letzte tief greifende Innovation in Print-Verlagen war die Einführung von Redaktionssystemen. Danach kam nichts mehr. Medienunternehmen sind heute nicht nur rückständig – sie sind gar innovationsfeindlich.

Sie klammern sich an die letzten Latifundien, getrieben von der Hoffnung ihrer Entscheider noch einigermaßen gut gepolstert in die Rente zu kommen. Und die fällt ja auch schon mal höchst üppig aus, wie wir jüngst im Fall des ehemaligen „Waz“-Geschäftsführers Günther Grotkamp erfahren durften.

Sie sind sogar bereit jene Werte zu verraten, die ihnen Sonderrechte im Rahmen der Verfassung garantieren: Verlage sind intransparent, lügen nachweislich und sind nicht daran interessiert in den öffentlichen Diskurs einzutreten.

Verleger und Verlagsmanager sind die Ruhrbarone unserer Zeit. Bekommen sie ihren Willen in Form eines Leistungsschutzrechtes wird das ihren Fall nur verlangsamen – aber die Innovation auf Kosten der Allgemeinheit behindern.

Und deshalb muss ein Leistungsschutzrecht verhindert werden. Damit Deutschland nicht zum Ruhrpott der Medienwelt wird.


Kommentare


creezy 13. Dezember 2010 um 11:22

Okay, ich möchte darauf hinweisen, dass IGEL bereits für IGeL – individuelle Gesundheitsleistung – steht, von den meisten Menschen in diesem Land emotional schlecht belegt ist, zudem von dem meisten Journalisten Igel geschrieben wird. Und das mit dem emotional schlecht belegt, kann ich aus eigener Sicht bestätigen, als ich eben in Deinem Text „Igel“ las.

Da hätte man sich einen besseren Namen ausdenken sollen.

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Noch Irgendwer 13. Dezember 2010 um 13:00

Das Böse mag das Licht – nicht. Transparenz ist der Feind der Miswirtschaft. Und von undemokratischen Gesetzen.

Das Böse tut im Darkroom im Dunkeln munkeln während vor dem Minsterium oder sonstwo die Proteste ins Leere laufen.

Konstruktive Ideen eines „DJV-2.0“ (Interessierte Journalisten und Bürger per Web konstruktiv organisiert statt in Diskussionen immer wieder Zeit verlierend dieselben Lügen-„Argumente“ widerlegend) wären vermutlich hilfreicher als die klassischen üblicherweise wirkungslosen Proteste.

Die Techniken sind vorhanden und Ergänzungen sind in wenigen Tagen programmiert. Man muss nur die Ideen einsammeln und effizient umsetzen.

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Compyblog 13. Dezember 2010 um 13:35

IGEL igelt los…

Heute startet IGEL, eine Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht. Nachdem ich schon lange keinen Hehl daraus mache, wie wenig ich von dem Sonderrecht von Papierverlagen halte, finde ich es gut, dass sich hier eine Argumentationsliste zum Verlegerschu…

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FS 13. Dezember 2010 um 16:48

Und ich habe beim Lesen der Überschrift einen Rant gegen Stefan Laurin & Co. erwartet. 😉

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teekay 13. Dezember 2010 um 21:32

Auch wenn das nicht das eigentliche Thema ist moechte ich mich fuer den Link zum interessanten Interview bedanken. Nur 20 Jahre nach Kriegsende sah man also schon dunkle Entwicklungs-Wolken herauf ziehen…auf der anderen Seite heisst das natuerlich auch, dass sich jeder Wandel langsamer vollzieht als es viele gerne beschreiben und vorher sagen. Fast 50 Jahre (!) nach dem Interview gibt es immer noch ein Ruhrgebiet und es sind noch nicht alle abgewandert, arbeitslos, Rentner oder Hartz-IVler…es gibt viele Probleme, aber auch eine soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Immunfunktion, die das Ruhrgebiet vor dem ‚Zusammenbrechen‘ bewahrt hat und das wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre tun wird-egal, wie ‚gut‘ oder ’schlecht‘ geplant wird oder wie sich die Realwirtschaft entwickelt. Und vielleicht gibt es in 20 oder 30 Jahren sogar noch eine gedruckte WAZ im Ruhrgebiet zu kaufen…wer weiss…

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» Verleger und Verlagsmanager sind die Ruhrbarone … Nachtwächter-Blah 14. Dezember 2010 um 0:50

[…] Verleger und Verlagsmanager sind die Ruhrbarone unserer Zeit… […]

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_Flin_ 14. Dezember 2010 um 10:26

Deutschland ist bereits das Ruhrgebiet der Medienwelt. Da muss man nur mal die Anonymous-Berichterstattung im Guardian und der Süddeutschen von heute vergleichen. Die einen gehen den Dingen auf den Grund, informieren ihre Leser, die anderen kriegen noch nicht mal hin, dass „Anonymous“ nicht „AnonOps“ heißt und schwafeln vom Computer als Waffe (denn das Internet ist, wie wir alle, die Feuilletons lesen, böse).

Von Klickstrecken und Kommentarseiten, auf denen 3 Kommentare zu sehen sind, bevor man „umblättern“ muss, wollen wir mal gar nicht anfangen.

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IP|Notiz – IGEL – Initiative gegen Leistungsschutzrecht gestartet 14. Dezember 2010 um 13:38

[…] diverse A-Blogger zu Wort, von Stefan Niggemeier über Spreeblick bis hin zu Thomas Knüwer (der auf seiner eigenen Website einen deutlich weniger tiefgehenden Beitrag zum Thema bringt). Dass sich die Blogcommunity jetzt […]

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Lesetipps für den 15. Dezember | Netzpiloten.de – das Beste aus Blogs, Videos, Musik und Web 2.0 15. Dezember 2010 um 9:12

[…] Leistungsschutzrecht – die neuen Ruhrbarone: Thomas Knüwer bewertet das Thema […]

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Die Woche im Rückspiegel – 50. KW « kadekmedien’s Blog 17. Dezember 2010 um 9:03

[…] Indiskretion Ehrensache: Leistungsschutzrecht – die neuen Ruhrbarone […]

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Stuff I learned this week – #50/10 « Real Virtuality 19. Dezember 2010 um 14:36

[…] Thomas Knüwer sieht in den Verfechtern des Leistungsschutzrechts die neuen Ruhrbarone. […]

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Sixtus statt Böller 30. Dezember 2010 um 16:06

[…] Gestern veröffentlichte Carta einen ziemlich großartigen Text des geschätzten Mario Sixtus. Es handelt sich um einen offenen Brief an die deutschen Verleger in Sachen Leistungsschutzrecht mit der Überschrift “Ja, habt Ihr denn überhaupt keinen Stolz?”. Und hiermit sei dieser Text ohnehin zur dringenden Lektüre empfohlen. Auch ich bin bekennender Gegner jener Lüge namens Leistungsschutzrecht. […]

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